Ein Beitrag von Joana Marie Sliwik

Wenn wir in die Reithallen blicken und gerade mal kein Trainer vor Ort ist, fällt einem schnell etwas auf: ohne Anleitung fehlt es uns oft an Struktur. Ein paar Runden Schritt, etwas Leichttraben auf jeder Hand, aussitzen, Galoppieren, ein paar Zirkel, einige Diagonalen, fertig. Vielleicht werden sogar ein paar Lektionen eingebaut. Jedoch merken die meisten Reiter recht schnell, dass ihr Trainingsaufbau ohne Reitlehrer eintönig, unstrukturiert, wenig systematisch und somit auch nicht wirklich zielführend ist. Wir wollen unsere Pferde fordern und fördern. Natürlich ist ein guter Ausbilder dafür unerlässlich. Aber was tun, wenn dieser gerade mal nicht vor Ort ist? Besonders die Corona-Pandemie hat viele Reiter vor die Herausforderung gestellt auch alleine zielgerichtet und effektiv zu trainieren. 

Die großen W’s – Was, warum und wie lange?

Die erste große Herausforderung für viele Reiter ist es, diese Fragen zu beantworten: Was, warum und wie lange? Das Pferd sollte innerhalb der Trainingseinheit gefördert und gefordert werden. Es sollte zwar Kraft aufbauen, Kräfte aber zugleich schonen. Dabei muss der Reiter sein Pferd immer individuell betrachten, sein Trainingsniveau realistisch einschätzen und den Baustellen im Training auf den Grund gehen. Zugleich möchte man natürlich die Motivation des Pferdes erhalten. Dies gelingt am besten durch Abwechslung. Innerhalb einer Trainingswoche können die Arbeit an der Longe, Cavalettiarbeit oder auch Ausritte genutzt werden um diese zu schaffen. 

Konzept und Flexibilität vereinbaren

Wochen- und Trainingspläne sind prinzipiell sinnvoll. Sie können dem Reiter dabei helfen strukturiert und systematisch zu arbeiten und Trainingsreize gezielt und effektiv zu setzen. Wieso ist das so wichtig? Sobald wir uns auf unsere Pferde setzten, belasten wir sie. Ganz gleich ob im Training, oder bei einem gemütlichen Ausritt. Es muss das Gewicht des Reiters tragen und sich über einen gewissen Zeitraum bewegen, dazu braucht es sowohl Kraft, als auch Ausdauer. Hauptziel der Dressurarbeit ist die Gesunderhaltung unserer Pferde, daran orientiert sich die Ausbildungsskala der FN und auch Lektionen haben immer einen gymnastizierenden Wert. Es gibt jedoch ein großes „Aber“: Jegliche Pläne sollten immer nur als Leitfäden betrachtet werden. Unsere Pferde sind ebenso Lebewesen wie wir es sind. Dementsprechend müssen wir flexibel im Training sein. Wir müssen die Stimmung und Leistungsfähigkeit unserer Pferde in jedem Training spüren und diese in Betracht ziehen. Das heißt auch, dass wir unsere Pläne gelegentlich über Bord werfen und überdenken müssen. Einer der wichtigen Wegweiser für jedes Training sollte jedoch sein, dass wir unsere Pferde motiviert und neugierig halten wollen und sie nicht in Angst oder frustriert zurück in die Box oder auf die Wiese schicken, was trotzdem nicht heißen soll, dass Baustellen nicht in Angriff genommen oder gar ignoriert werden sollten. 

Die grundlegenden Bausteine 

Die körperliche und mentale Leistung, die ein Pferd innerhalb einer Trainingseinheit erbringt,  muss systematisch aufgebaut und vor- und nachbereitet werden. Deshalb sollte jedes Training aus drei grundlegenden Bausteinen bestehen, egal ob Reiter und Pferd auf Grand-Prix- oder E-Niveau trainieren. Wir sollten immer mit der Lösungsphase starten, dann in die Arbeitsphase übergehen und abschließend die Entspannungsphase einbauen. Ein Leitfaden ist dabei immer vom Leichten zum Schweren, vom Bekannten zum Unbekannten, vom Einfachen zum Komplexen überzugehen. Was in den einzelnen Phasen enthalten ist, variiert entsprechend des Ausbildungsstandes. 

Die Lösungsphase

Hierbei soll das Pferd auf die bevorstehende Arbeit vorbereitet werden, sowohl körperlich als auch mental. Das Herz-Kreislauf-System soll in Schwung gebracht werden und die Gelenke und Muskulatur werden aufgewärmt. Somit werden nicht nur Langzeitschäden vermieden, sondern auch die Belastbarkeit und Energiebreitstellung werden verbessert. Auch auf mentaler Ebene wird das Pferd auf das Training vorbereitet. Es sollte auch psychisch loslassen und wird dadurch konzentrierter und lernbereiter. Besonders die ersten drei Punkte der Ausbildungsskala (Takt, Losgelassenheit und Anlehnung) stehen in dieser Phase im Mittelpunkt. Genügend Schritt reiten (10-20 Minuten) ist hierbei der Beginn der Lösungsphase und ist für jedes Pferd, egal auf welchem Niveau, unerlässlich, um die Muskulatur und die Gelenke aufzuwärmen. 

Die Arbeitsphase

Die Arbeitsphase besteht daraus bereits Erlerntes zu festigen und zu verfeinern und Neues zu erarbeiten. Es werden also auch anspruchsvollere und neue Lektionen hinzugenommen.

Die Entspannungsphase

Nach dem Training sollte das Pferd die Möglichkeit haben mental und psychisch zu entspannen. Dies kann durch lockeres vorwärts-abwärts oder Schritt reiten am langen Zügel erfolgen.

Faktor Zeit

Wie lange der Reiter in der Lösungs-, Arbeits- und Entspannungsphase verweilt, ist individuell. Die Intensität richtet sich nach Alter, Ausbildungsstand, Trainingszustand und Temperament des Pferdes. Auch das Wetter spielt eine Rolle. Allgemein kann man sich merken: So viel wie nötig, so wenig wie möglich! Das Üben einzelner Lektionen sollte nicht übertrieben werden, da die zu verbissene Arbeit nicht selten eher zu einer Verschlechterung, als einer Verbesserung führt. Eventuell könnte es sogar zu Überlastungen kommen. Je nach Pferd sollte im täglichen Training eine zwei- bis fünfmalige Wiederholung einer einzelnen Lektion auf jeder Hand ausreichen, in der Lernphase eventuell ein paar mehr. Bei immer wieder auftretenden Problemen, sollte der Reiter sich viel mehr Fragen wo genau die Ursache liegt, anstatt dieselbe Lektion zum 20. Mal zu wiederholen. Das Training sollte effektiv erfolgen, wir wollen unsere Pferde dabei nicht überarbeiten oder schlicht und ergreifend Kilometer zurücklegen, trotzdem müssen ausreichend Trainingsreize gesetzt werden.  Wann in einem Training genügend Trainingsreize gesetzt wurden, ist ebenso von Alter, Ausbildungsstand, Trainingszustand und Temperament des Pferdes abhängig. Auch der Gesamtverlauf der Trainingswoche spielt eine Rolle. 

Pausen richtig einbauen

Schrittpausen sollten immer wieder eingebaut werden, ganz besonders in der Arbeitsphase. Sie dienen zur Erholung (mental und körperlich), können aber auch als Lob wirken. Dabei sollte der Reiter immer auch das Wetter in Betracht ziehen. Bei Kälte zu lange Schrittpausen oder gar langes herumstehen einzubauen könnte das Pferd auskühlen, bei Hitze sollten Schrittpausen gegebenenfalls vermehrt oder auch länger eingebaut werden.

Eine Trainingseinheit alleine planen und gestalten

Wir haben nun mehr über den Grundaufbau einer Trainingseinheit gelernt. Doch was gehört sonst noch dazu, alleine effektiv zu reiten? Fachliteratur und ein kompetenter Trainer sollten Abhilfe schaffen, Grundprinzipien besser zu verstehen. Dabei geht es ganz besonders um die Einwirkung, Hilfengebung und die Lektionen. Der Reiter sollte lernen… 

  • wie Lektionen und Hufschlagfiguren aussehen sollten, wozu sie dienen und was Voraussetzungen für ihr Gelingen sind. 
  • welche Hilfen der Reiter in den jeweiligen Lektionen geben muss. 
  • welche Fehler in Lektionen auftreten können. 
  • Zusammenhänge zwischen Lektionen und der Ausbildungsskala zu verstehen. 

Hat der Reiter ein besseres Verständnis erlangt, wird es ihm leichter fallen sich selbst zu überprüfen, Fehler zu korrigieren und das Training auch alleine zu gestalten. 

Sich während und nach dem Training selbst kritisch zu überprüfen, ist wichtiger Bestandteil und Voraussetzung für jeglichen Trainingsfortschritt. Außerdem muss der Reiter sich und sein Pferd individuell betrachten können. Das gilt für jede Phase des Trainings, die Trainingsinhalte, die Dauer und den expliziten Aufbau. Was für den einen Reiter und das eine Pferd gut funktioniert, mag für eine andere Pferd-Reiter-Konstellation noch lange nicht passen. Daher ist es immer schwierig Trainingspläne verallgemeinert vorzugeben. Trotzdem kann man sich Anreize holen. 

Der Reiter kann sich prinzipiell an dem Ausbildungsstand des Pferdes und den daraus folgenden Anforderungen orientieren. Ein Reiter auf L-Niveau wird so zum Beispiel in der Arbeitsphase einen Fokus auf den Außengalopp und die einfachen Wechsel legen. Befindet er sich auf dem Weg zur Klasse M, wird er wohl  die Arbeit an den fliegenden Wechsel beginnen, sowie Traversalen und Schulterherein mit einbauen. Die Lösungsphase besteht in der Regel vor allem aus vielen Handwechseln, großen gebogenen Linien, Übergängen die dem Ausbildungsstand des Pferdes entsprechen, sowie gegebenenfalls schon Schenkelweichen. In der aufwärmenden Schrittarbeit können (ebenfalls dem Ausbildungsstand entsprechend) bereits Lektionen wie Schenkelweichen, oder auch beispielsweise die Kurzkehrtwendung hinzugenommen werden. Wie bereits erwähnt sollte der Reiter immer vom Einfachen zum Schweren übergehen. Das Training sollte zwar abwechslungsreich gestaltet werden, allerdings sollte das Pferd nie überfordert werden. Wenn der Reiter sich den Fokus für eine schwere Lektion gelegt hat, muss er sich fragen, ob es am selben Tag Sinn macht, eine weitere schwere Lektion erarbeiten zu wollen. Auch das zu häufige Wiederholen derselben Lektion kann nicht zielführend sein. Wenn eine neue Lektion gut funktioniert hat, ist es sinnvoll die Arbeit an dieser mit diesem guten Ergebnis zu beenden. Wenn trotz mehrmaliger Wiederholung immer wieder Probleme auftreten, sollte sich der Reiter fragen, wo die Ursache wirklich liegt. Dies bedeutet auch, dass der Reiter gegebenenfalls wieder einen Schritt zurück machen muss. Hat der Reiter die Anforderungen für eine Lektion und die Zusammenhänge mit der Ausbildungsskala verstanden, kann er sie gegebenenfalls auch verbessern ohne die Lektion selbst zu reiten. Gelegentlich kann es auch vorkommen, dass der Reiter einfach zu keinem guten Abschluss kommt. Das sollte allerdings nicht dazu führen, dass bis zur absoluten Übermüdung durchgearbeitet wird. Es gibt durchaus Tage, an denen Reiter und/oder Pferd nicht ihre Bestleistung erbringen können, was man als Reiter ebenfalls akzeptieren muss. Trotzdem sollte bei der weiteren Trainingsplanung bedacht werden, wie aufgetretene Probleme sinnvoll und effektiv gelöst werden können. Prinzipiell sollte ein Training niemals nur aus dem Runterreiten von Lektionen bestehen. Lektionen sollten immer als Mittel zum Zweck gesehen werden. In jedem Fall ist es immer sinnvoll gemeinsam mit dem Trainer einen Plan auszuarbeiten und Strukturen für das Training alleine genauer mit diesem zu besprechen. 

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