Ein Beitrag von Joana Marie Sliwik

Zu tief, zu eng, zu stark, oder gar keine Verbindung. Probleme mit der Anlehnung kennen die meisten Reiter, und besonders in der heutigen Zeit wird wohl kaum etwas in der Reiterei so häufig diskutiert und kritisiert wie die Anlehnung. In diesem Artikel geht es um Anlehnungsfehler, ihren Ursachen und möglichen Lösungen. 

Was bedeutet „Anlehnung“ überhaupt?

Aber zunächst einmal müssen wir verstehen was Anlehnung überhaupt ist.  Die Anlehnung ist die stete, weiche und elastische Verbindung zwischen Pferdemaul und Reiterhand. Die Anlehnung ist Teil der Ausbildungsskala und steht hierbei an dritter Stelle. Vor ihr stehen Takt und Losgelassenheit. Das Pferd soll von hinten nach vorne vertrauensvoll an die Reiterhand herantreten. Vertrauensvoll meint in dem Fall, dass das Pferd die Anlehnung sucht, und sie nicht von der Hand erzwungen werden muss. Das Pferd hat vertrauen zu dem Reiter und seiner Hand, das heißt umgekehrt aber auch, dass der Reiter seine Hand so einsetzten sollte, dass Vertrauen entstehen und erhalten bleiben kann. Wenn das Pferd die Anlehnung sucht und sie anbietet, kann der Reiter diese gestalten. Er kann das Pferd zum Beispiel höher oder tiefer einstellen und halbe Paraden geben, natürlich immer in Verbindung mit den treibenden und Gewichtshilfen. Festzuhalten ist dementsprechend, dass das Pferd niemals durch Zwang oder Kraft in eine Form gepresst werden sollte. Weder Geziehe und Gezerre, noch durchhängende, schlackernde Zügel zeichnen eine gute Anlehnung aus. 

Woran erkennt man, dass die Anlehnung stimmt?

Besonders für den Außenstehenden zunächst erkennbar ist natürlich  die Haltung des Pferdes. Das Pferd sollte mit gleichmäßig aufgewölbter Oberhalslinie gehen, wobei die Stirn-Nasen-Linie möglichst leicht vor der Senkrechten steht. Beim höher ausgebildeten Pferd sollte das Genick den höchsten Punkt darstellen, dabei ist das Vorwärts-Abwärts natürlich ausgeschlossen. Aber natürlich spielt nicht alleine die Haltung des Pferdes eine Rolle. Außerdem sollte die Verbindung stetig und weich sein. Das Pferd sollte eine gute Maultätigkeit zeigen, was heißt dass das Pferd bei geschlossenem Maul ruhig kaut und sich leicht Schaum bildet. Dabei lässt es die Hilfen des Reiters gut durch, es folgt ihnen dementsprechend willig, registriert und respektiert sie. Umso durchlässiger das Pferd ist, desto besser wird die Qualität der Anlehnung. 

Was sollte man außerdem über die Anlehnung wissen?

Die Anlehnung muss unbedingt im Zusammenhang mit den anderen Punkten der Ausbildungsskala gesehen werden. Die Reiterhand und die Hilfengebungen, die sie gibt, dürfen niemals dominant einwirken. Sie ist vielmehr das Gegenüber zu den stets vorherrschenden treibenden Hilfen. Obwohl der Reiter die Anlehnung aufrechterhalten sollte, besteht jede Zügelhilfe sowohl aus Annehmen, als auch Nachgeben. Voraussetzung für die gelungene Anlehnung ist selbstverständlich auch der handunabhängige Reitersitz. Wenn der Reiter Probleme dabei hat, seine Hand kontrolliert ruhig zu halten, kann unter Umständen auch das Vertrauen zur Reiterhand gestört werden. Außerdem ist die Anlehnung enorm individuell und dynamisch. Damit ist gemeint, dass verschiedene Pferde unterschiedlich stark an die Hand herantreten, ein Pferd mag leichter in der Anlehnung sein, ein anderes mag stärker an die Hand heranziehen. Alleine schon der enorm individuelle Körperbau unserer Pferde ist ein Grund dafür. Auch innerhalb einer und der verschiedenen Gangarten variiert die Stärke der Anlehnung oftmals. 

Konstante Anlehnung – aber wie?

Wie schon zuvor angesprochen, muss das Pferd zunächst losgelassen und im Takt gehen, um dann reel an die Reiterhand herantreten, und somit in Anlehnung gehen zu können. Zwar geben die zwei ersten Punkte der Ausbildungsskala die Anlehnung vor, dennoch ist es wichtig anzumerken, dass eine eine schlechte Anlehnung sich im Umkehrschluss auch negativ auf Takt und Losgelassenheit auswirken kann. Grundsätzlich gilt: das Pferd muss von hinten nach vorne, über den losgelassenen Rücken, an das Gebiss herantreten. 

Um dies zu erreichen, sollte der Reiter mithilfe der Schenkelhilfe mehr Schubkraft, und somit Nachgiebigkeit im Genick erzeugen. Die Reiterhand darf die Anlehnung nicht erzwingen, sie empfängt sie viel mehr, und gestaltet sie dementsprechend. Oftmals sieht man auf den Reitplätzen, dass Reiter versuchen durch „Riegeln“ diese Nachgiebigkeit zu erzeugen. Dies ist ein grober Fehler, denn häufige Umstellen oder gar deutliches Riegeln sind weder zielführend, noch wirkt es gymnastizierend. Die Stellung muss immer ehrlich aus dem Zusammenspiel aller Hilfen heraus erarbeitet werden. 

Neben den treibenden Hilfen, ist die nachgebende Zügelhilfe ein unverzichtbares Mittel für die konstante, weiche Anlehnung. Gibt der Reiter zwar Vollgas, steht aber zugleich mit durchgedrücktem Fuß auf der Bremse, blockiert er sein Pferd. Um die nachgebenden und annehmenden Zügelhilfen richtig mit den treibenden Hilfen abzustimmen, braucht es vor allem eins: Gefühl. Eine der Voraussetzungen dafür ist der ausbalancierte, losgelassene Reitersitz, um  Hilfen gefühlvoll und präzise einzusetzen. Auch das richtige Zügelmaß hat eine Auswirkung auf die Anlehnung. 

„Gute Anlehnung“ – eine Checkliste!

– Das Pferd geht im Takt
– Die Hinterhand tritt aktiv und tief unter den Schwerpunkt
– Der Pferderücken schwingt losgelassen
– Das Pferd „zieht“ an das Gebiss heran
– Die Zügel sind konstant gespannt, wobei der Reiter weder am Zügel zieht, oder die Zügel durchhängen
– Das Gewicht, was der Reiter in seinen Händen spürt ist dynamisch und von Pferd zu Pferd individuell zu betrachten
– Das Pferd gibt im Genick nach, wobei die Stirn-Nasen-Linie möglichst leicht vor der Senkrechten steht
– Die Oberhalslinie ist gleichmäßig aufgewölbt
– Das Pferd kaut leicht, zwanglos und unverkrampft
– Die Aufrichtung resultiert aus der korrekten Versammlung
– In Aufrichtung ist das Genick der höchste Punkt

Anlehnungsprobleme – Definitionen, Ursachen und Lösungsansätze

Jedes Pferd ist individuell zu betrachten, daher sind auch Probleme mit der Anlehnung extrem individuell und können sich sogar während einer Trainingseinheit ändern. Im Folgenden werden einige häufige Anlehnungsprobleme genauer thematisiert. 

Das Pferd geht hinter dem Zügel

Das Pferd geht mit der Stirn-Nasen-Linie hinter der Senkrechten und tritt nicht ans Gebiss heran. Oftmals wird davon gesprochen, dass das Pferd sich einrollt oder hinter dem Zügel verkriecht. Es kommt eigentlich keine richtige Anlehnung zustande, da keine richtige Verbindung besteht. Das Pferd weicht der Reiterhand durch übertriebenes Nachgeben aus. 

Mögliche Ursachen: 

  • Fehlendes Vertrauen zur Reiterhand 
  • Eine zu harte, zu unruhige oder zu hohe Hand 
  • Fehlerhafte Abstimmung der treibenden und verhaltenden Hilfen 
  • Mangelnde Aktivität der Hinterhand; fehlende Losgelassenheit im Rücken; mangelnde Dehnungsbereitschaft 

Lösungsansätze und Tipps fürs Training: 

  • Den handunabhängigen, ausbalancierten und losgelassenen Reitersitz sicherstellen
  • Die Position der Reiterhand im Auge behalten; die Hand sollte tief geführt werden und elastisch einwirken
  • Vertrauen zur Reiterhand muss erneut hergestellt werden 
  • Der Reiter braucht enorm viel Gefühl und eine geschickte Hand für die Korrektur
  • Lösenden Übungen in Dehnungshaltung; was die Dehnungshaltung betrifft sollte der Fokus deutlicher darauf liegen, dass das Pferd den Hals wirklich nach vorne dehnt und ans Gebiss herantritt, anstatt den Hals zwar tief zu tragen, aber nicht ans Gebiss heranzutreten.
  • Fleißige Galopparbeit 
  • Trab-Galopp Übergänge 

Das Pferd geht hinter der Senkrechten

In dem Fall geht das Pferd mit der Stirn-Nasenlinie hinter der Senkrechten, weicht der Anlehnung dabei aber nicht aus. Das Pferd gibt also zu deutlich im Genick nach, kommt zu eng und oftmals auch zu tief. Das dauerhafte reiten hinter der Senkrechten kann die Rückentätigkeit einschränken, wodurch auch die Hinterhand nicht mehr optimal untertreten kann. Es kann sich außerdem negativ auf die Balance des Pferdes auswirken. 

Mögliche Ursachen: 

  • Es ist zu differenzieren ob dieses Problem dauerhaft auftritt oder nur für einen kurzen Moment. Kommt das Pferd in einem kurzen Moment hinter die Senkrechte, kann das bedeuten, dass die Hilfengebung des Reiters für einen Moment nicht optimal abgestimmt ist. Er wirkt für einen kurzen Moment zu stark mit der Hand ein, und treibt dabei nicht genügend nach. Das heißt aber nicht gleich, dass es zu einem dauerhaften Problem, oder gar Ausbildungsfehler kommen muss. Wenn das Problem allerdings sehr häufig, oder gar dauerhaft, auftritt, ganz besonders in der versammelnden Arbeit, kann man von einem Ausbildungsfehler sprechen. 
  • In beiden Fällen ist die Ursache jedoch die falsch abgestimmte Hilfengebung. 

Lösungsansätze und Tipps fürs Training: 

  • Der Reiter muss sich wieder bewusst machen, dass er das Pferd von hinten nach vorne in Anlehnung reitet, und es nicht mit der Hand in die Anlehnung zwingen kann.
  • Die Hand darf niemals die am stärksten einwirkende Hilfe sein! 
  • Eine deutlichere, richtig abgestimmte halbe Parade, mit darauf folgendem Nachgeben kann hilfreich sein, ebenso wie das Überstreichen. 
  • Viele Übergänge 
  • Zügel-aus-der-Hand-kauen lassen und wieder aufnehmen. 

Das Pferd geht auf dem Zügel

Der Reiter hat hierbei das Gefühl, das Pferd würde sich auf dem Zügel abstützen. Das Pferd verlagert das Gewicht dabei auf die Vorhand und es fühlt sich für den Reiter so an, als würde es sich auf das Gebiss legen und stark werden. Gelegentlich ist das Pferd dabei unnachgiebig im Genick und öffnet das Maul. Außerdem fußt es nicht genügend von hinten nach vorne unter den Schwerpunkt. 

Mögliche Ursachen: 

  • Das Pferd ist noch nicht bereit oder in der Lage wirklich mit der Hinterhand heranzuschließen und Last aufzunehmen. 
  • Die Pferde sind oft wenig aktiv in der Hinterhand und/oder wenige ausbalanciert. 
  • Die Hilfengebung des Reiters könnte eine weitere mögliche Ursache sein. Oft tritt das Problem auf, wenn der Reiter nicht ausreichend oder falsch treibt, und die Reiterhand eher starr und unelastisch einwirkt. 

Lösungsansätze und Tipps fürs Training: 

  • Der Reiter muss sich auch in diesem Fall bewusst machen, dass die Reiterhand das Gegenstück der treibenden und Gewichtshilfen ist. Das Nachgeben im richtigen Moment ist hierbei enorm wichtig. Deutliches Nachgeben und Überstreichen können hilfreich sein. 
  • Kurze und präzise halbe Paraden. 
  • Übergänge, um die Hinterhand zu mobilisieren und die Selbsthaltung anzuregen. 

Das Pferd geht über dem Zügel/gegen den Zügel 

In diesem Fall befindet sich die Stirn-Nasenlinie deutlich über den Senkrechten. Das Pferd gibt nicht im Genick nach und spannt die Unterhalsmuskulatur an. Außerdem hält es sich im Rücken fest. 

Mögliche Ursachen: 

  • Die häufigste Ursache ist ein Reiter mit wenig Geduld und/oder Gefühl für die Anlehnung.
  • Weitere Ursachen könnten auch körperlichen Ursprungs sein, wie beispielsweise Rückenprobleme. 

Lösungsansätze und Tipps fürs Training: 

  • Das passende Grundtempo ist zunächst einmal enorm wichtig. Es sollte zwar „frisch“ sein, allerdings keinesfalls zu eilig. 
  • Große gebogene Linien für die Lösungsphase. 
  • Pferde die aufgrund von Rückenproblemen zu diesem Problem neigen, können ebenfalls gut an der Longe gymnastiziert werden. 
  • Besonders schweres einsitzen, sowie eine besonders tief geführte Reiterhand sind oftmals kontraproduktiv. 
  • Der richtige Einsatz der treibenden Hilfen ist auch bei diesem Anlehnungsfehler von besonderer Bedeutung. 
  • Sobald das Pferd den Hals fallen lässt, sollte es sofort gelobt werden. 

Der Reiter ist das Problem?!

Vielleicht wird der ein oder andere beim Lesen gerade verzweifeln und sich sagen: „Also bin ich die Ursache des Problems?!“. Auch wenn die Anlehnung recht weit unten in der Ausbildungsskala steht, sind Probleme auch für sehr gut ausgebildete Reiter keine Seltenheit. Die richtige Abstimmung der Hilfengebung zu erlernen braucht Zeit und Geduld, und dass einem dabei Fehler passieren ist normal! Sollte ein Anlehnungsfehler bereits zu einem Ausbildungsfehler geworden sein, ist die Hilfe eines qualifizierten Profis immer empfehlenswert. Bei jedem Anlehnungsfehler ist umso schneller ein Erfolg zu erkennen, je weniger Muskeldefizite oder -fehlbildungen durch das falsche Gehen des Pferdes entstanden sind. Daher empfiehlt es sich natürlich immer gemeinsam mit dem Trainer und/oder Bereiter daran zu arbeiten, dass solche gar nicht erst entstehen. Außerdem sollte man sich besonders von ungünstigen „Momentaufnahmen“ nicht entmutigen lassen, denn solche gehören dazu. Kein Reiter kommt als Meister auf die Welt, und selbst der Meister ist nicht unfehlbar. Des Weiteren ist das individuelle Gebäude des Pferdes nicht zu unterschätzen, manch ein Pferd ist „anfälliger“ für einen bestimmten Anlehnungsfehler, als ein anderes. Die große (und nicht gerade einfache) Aufgabe ist wie immer, individuell auf das jeweilige Pferd eingehen zu können. 

1 Kommentar

  1. Liebe Joana, das isT ein ganz toller und gUt Verständlicher artikel. Vielen dank DAFÜR.
    Vielleicht könnte man darauf aufbauen und in ähnlicher Weise nochmal das ZUSAMMENSPIEL von halben Paraden und ScHenkelhilfen daRlegen.

    Antworten

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