Endlich geht es wieder los: In den meisten Bundesländern dürfen nach langer Coronapause endlich auch wieder Amateure auf Turnier starten. Das nehmen wir zum Anlass uns die Turniersituation in anderen Ländern, aber auch die Entwicklung des Reitsports in Deutschland unter die Lupe zu nehmen.
Turnierreiten in den USA
Für die meisten Turnierreiter ist der Start auf einem Turnier ein tolles Event, dass dazu dient den Trainingsfortschritt mit dem eigenen Pferd und die Leistung gegenüber anderen Pferd-Reiter-Paaren zu messen. Vor einem Turnierstart steht eine Menge Arbeit um die eigenen und die Leistung des Pferdes auf den Punkt zu bringen. Jedenfalls ist das die gängige Ausgangssituation, die wir im deutschsprachigen Raum kennen.
Doch betrachtet man den Turniersport in anderen Ländern sieht man eine vollkommen andere Entwicklung.
So zum Beispiel in den USA, dem Land von “Laziness” und Serviceorientierung. Was passiert, wenn man diese beiden Aspekte zusammen mixt sieht man an einer Entwicklung, die man gemeinhin als eine Art Turnier-Tourismus bezeichnen kann. Statt lange auf ein Turnier hinzuarbeiten, Vertrauen zwischen Pferd und Reiter aufzubauen und sich dann mit anderen zu im Wettkampf messen, wird beim Turnier-Tourismus eine Abkürzung genommen. Und die sieht so aus: Der Reiter kommt zum Turnier, setzt sich auf ein Pferd, welches von einem “Anbieter” zum Turnier gebracht wurde und bestreitet dann den Wettkampf. Im Zweifelsfall kennen sich Pferd und Reiter keine fünf Minuten. Ein für uns bizarres Bild.
Zugang zum Reitsport immer schwerer
Bei Betrachtung der blanken Zahlen der Studie des Marktforschungsinstituts IPSOS aus dem Jahre 2019 wird klar, dass es wesentlich mehr Reitsportinteressierte gibt, als Reiter. Denn ganze 11,2 Millionen Menschen gaben an am Reitsport interessiert zu sein. Hingegen bezeichnen sich lediglich 2,32 Millionen als Reiter.
Als Hauptgründe dieser Diskrepanz können verschiedenste Ansätze herangezogen werden.
Alleine der Aspekt der Zugänglichkeit muss an dieser Stelle betrachtet werden. Denn nicht jeder der Reiten möchte, kann dies auch tun. Die Anzahl der Reitvereine in Deutschland sinkt seit Jahren kontinuierlich. Nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie wird sich dieser Negativtrend weiterentwickeln. Kleine Reitställe sieht man immer weniger. Nicht zuletzt durch dieses Wegsterben der kleinen Reitställe entstehen geografische Hohlräume, die den Zugang für viele Reiter erschweren. Anfahrtswege, bei einer bereits sehr zeitaufwendigen Freizeitgestaltung, werden so nochmals länger. Der Aufwand alleine zum Reitsport wird erschwert.
Auch die Breite des Angebots nimmt im Laufe der letzten Jahrzehnte insgesamt ab. So finden sich viele Angebote im Bereich Kinderreiten und auch therapeutisches Reiten wird immer verbreiteter. Schwieriger wird es hingegen für Erwachsene Reitanfänger oder Wiedereinsteiger. Das Lehrangebot in diesem Bereich ohne eigenes Pferd wird immer geringer. So ließ sich auch nach eingehender Recherche kein Unterricht auf Schulpferden für Erwachsene im Rhein-Sieg-Kreis finden.
Hoher Zeit- und Kostenaufwand
Auch Zeit und Geld spielen im Reitsport eine große Rolle. Denn ein eigenes Pferd bedeutet sowohl einen hohen zeitlichen als auch finanziellen Aufwand. Für den Sporteinstieg muss es jedoch nicht immer gleich ein eigenes Tier sein. Jedoch ist auch eine Unterrichtsstunde als auch eine Reitbeteiligung mit einem gewissen Zeitaufwand verbunden. Nicht für jeden, oft auch in Verbindung mit den langen Anfahrtswegen, zu tragende Voraussetzungen.
Turnier-Tourismus durchaus denkbar
Betrachtet man den Trend des Turnier-Tourismus der USA unter diesen Aspekten, stellt sich die Frage, ob eine solche Entwicklung für den modernen Pferdesport gefährlich oder einfach notwendig ist? Ein immer schwerere Zugang zum Reitsport, höhere Kosten und ein vermehrter Zeitaufwand könnten immer mehr Menschen davon abhalten dem schönsten Sport der Welt nachzugehen.
Da erscheint die Idee Turniere, die hinlänglich schwerer wiegen als eine einzelnen Trainingsstunde, in den Fokus des Angebots zu rücken, kaum mehr abwegig. Natürlich müssten bestimmte Voraussetzungen bei Reiter als auch bei Pferd gegeben sein um ein solches Angebot mit größtmöglicher Sicherheit und im Sinne aller Teilnehmer umsetzen zu können. So sollten beispielsweise Leistungsstand des Pferdes und Reiters mit denen des Wettbewerbs übereinstimmen.
Die Einrichtung von solcher Angebote erscheint um ein vieles leichter als die Umstrukturierung des Reitschul- und Reitverein-Angebots. Jedoch sind natürlich auch die negativen Aspekte dieses Turnier-Tourismus zu betrachten.


Statt Pferdemenschen nur Menschen mit Pferden
Nicht umsonst wird immer wieder betont, es hätte früher Pferdemenschen gegeben und heute nur noch Menschen mit Pferden. Hier handelt es sich um weniger um eine plakative Darstellung als um die Tatsache, dass die Menschen früher meist wesentlich eher mit Pferden in Berührung kamen und auch durch die Weitergabe von althergebrachtem Wissen um die Pferdehaltung, -fütterung und -gesunderhaltung ihre charakterliche Formung als Pferdekenner bekamen. Dies ist heute allzu oft verloren gegangen.
Eine Entwicklung die von Pferdeliebhabern und wirklichen Kennern immer häufiger kritisiert wird. Durch einen Turnier-Tourismus, wie ihn die USA bereits kennt, würde der Aspekt des Pferdekennens regelrecht untergraben. Eine Entwicklung, die gefährlicher nicht sein könnte. Denn der Umgang mit dem Pferd und das Wissen um seine Gesunderhaltung zählt zum wohl wichtigsten Wissen eines jeden Reiters. Dies gilt selbst wenn er keine eigenen Pferde hält.
Dauer-Vollberitt als Alternative
Statt dem angesprochenen Turnier-Tourismus sieht man in Deutschland immer häufiger Reiter mit eigenem Pferd, welches sich jedoch in einer Art Dauer-Vollberitt befindet. Das Pferd wird dann höchstens mal zum Turnier selber geritten. Lieber noch lässt man den eingesetzten Bereiter das Pferd vorstellen. Diese Art der Reiterei ist schon seit etlichen Jahren bekannt, etabliert sich jedoch immer mehr im Amateurbereich. Im Profisport ist es schon seit jeher Gang und Gebe, dass die Pferde durch Sponsoren oder Privatleute gehalten und den Reitern zur Verfügung gestellt werden. Da sich die Pferde sowohl im Profibereich als auch im Amateurbereich bei Profibereitern befinden, sollte hier davon ausgegangen werden, dass ein Dauer-Vollberitt dem Pferdewohl nicht schadet.
Die angesprochenen Punkte, wie Zugänglichkeit, Zeit und Kosten stehen auch bei einem solchen Modell nicht zum Besten. Jedoch kann es für einige reitsportinteressierte Nicht-Reiter, die beispielsweise zu wenig Zeit haben ein eigenes Pferd zu Umsorgen und regelmäßig zu arbeiten oder bei zu wenig Kenntnissen der Pferdehaltung oder des Trainings durchaus sinnvoll sein.
Welches Modell tatsächlich denkbar und sinnvoll ist, muss jeder Reitsportinteressierte für sich selber entscheiden. Es bleibt jedoch zu hoffen, dass zwischen den Zugangsschwierigkeiten und den gebotenen Alternativen, das Pferdewohl immer im Mittelpunkt der Reiterei bestehen bleibt.
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