1952 war das Jahr, dass vieles für die Frauen im Reitsport verändern sollte. Denn nicht nur die Deutsche Ida von Nagel gewann als erste Frau überhaupt eine Medaille bei den Olympischen Spielen in Helsinki (mit Heinz Pollay und Fritz Thiedemann als Mannschaft in der Dressur) in einer Reitsportdisziplin, sondern auch die Dänin Lis Hartel triumphierte und gewann mit der Silbermedaille als erste Frau überhaupt eine Einzelmedaille in einer Reitsportdisziplin bei einer Olympiade. 

Hartels Leistung war nicht nur grundsätzlich beeindruckend oder weil sie eine Frau war, sondern vor allem weil sie durch eine Erkrankung mit einer starken Einschränkung ritt: Die Muskulatur ihrer Unterschenkel konnte sie nicht mehr anspannen. Dennoch zeigte sie es allen und musste sich lediglich von Henri Saint Cyr auf Master Rufus geschlagen geben. 

Von den Anfängen bis zur Krankheit

Lis kam am 14. März 1921 in Kopenhagen als jüngstes Kind des Direktors Ejnar Holst und seiner Frau Else zur Welt. Mutter Else war begeistert vom Reiten und unterrichtete die Kinder. Lis sagte später, dass sie eigentlich als Kind Angst vor dem Reiten gehabt habe und das sie ständig herunter gefallen sei. Erst als ihre Eltern ein älteres Pony kauften, legte sich diese Angst und die Dressur wurde zur ihrer großen Liebe. 

Erste sportliche Ambitionen zeigte sie aber nicht nur beim Dressurreiten, sondern auch bei Springwettkämpfen. Mit dreizehn Jahren trat sie in den Sportsrideklubben, den Reitsportverein, Kopenhagen ein für den sie von da an bei Wettkämpfen antrat.

Im Jahr 1941 heiratete Lis mit zwanzig Jahren den Großhändler Poul Finn Hartel. Ein Jahr später wurden sie Eltern einer Tochter namens Pernille. 1943 wurde Lis erneut schwanger mit der zweiten Tochter Anne. Lis erkrankte während der Schwangerschaft an der Kinderlähmung Polio. Zwar überstand sie die Krankheit, doch zurück blieben beinahe vollständig gelähmte Unterschenkel. Lis Hartel, die zu diesem Zeitpunkt schon eine gute Dressurreiterin gewesen war, konnte keinen Muskel in ihren Unterschenkeln mehr bewegen. 

Die Ärzte prophezeiten ihr, dass sie in Zukunft nicht mehr laufen werden können und auf einen Rollstuhl, im besten Fall auf Krücken angewiesen sein würde. Doch Hartel habe diese Diagnose und düsteren Zukunftsaussichten einfach nicht akzeptieren können, sagte sie in späteren Jahren in Interviews. Mit der Hilfe ihres Mannes und ihrer Mutter Else lernte sie zu krabbeln und machte trotz “fürchterlicher Schmerzen”, wie sie später zugeben sollte, Gymnastikübungen in Eigenregie. 

Krabbeln und neue Reittechnik

Ganze vier Jahre dauerte es, bis sich diese Qualen auszahlen sollten und Hartel ihrem Ziel wieder zu Reiten, auszahlen sollten. 1947 saß die Dänin erstmals wieder nach ihrer Erkrankung auf dem Pferd. Zwar konnte sie die Unterschenkel immer noch nicht bewegen, doch sie konnte ohne Hilfe laufen, auch wenn es ihr schwer fiel. Um auf das Pferd aufzusteigen oder wieder hinunter zu gelangen, benötigte sie jedoch weiterhin Hilfe. Dies sollte sich zeitlebens nicht mehr ändern. 

Nachdem sie wieder im Sattel saß, entwickelte Hertel eine eigene Technik des Reitens. Statt des Einsatzes des Schenkels, den sie durch die Lähmung nicht wie andere Reiter einsetzen konnte, arbeitete sie mit feinen Gewichtsverlagerungen und -einwirkungen. 

Sportliche Erfolge

Das dieser reiterliche Ansatz erfolgreich war, zeigte sich bereits 1949, zwei Jahre nachdem Hartel erstmals wieder auf einem Pferd saß. Mit ihrer Stute Jubilee trat sie ab dem 1949 in der Klasse M an und gewann kontinuierlich. Ein Jahr später, 1950, traten sie in der Klasse S an und gewannen den Prix St. Georges in Rotterdam. 

Als bekannt wurde, dass ab dem Jahr 1952 nicht nur ranghohe Offiziere als Reiter bei den Olympischen Spielen teilnehmen dürften, sondern auch Zivilisten und “sogar” Frauen, war Lis “förmlich elektrisiert und motiviert”. 

Ihr Kampfgeist und ihre sportliche Motivation sollten sich auszahlen. 1952 ging Lis Hartel dann mit der Stute Jubilee, mit der sie bereits viele Erfolge hatte Feiern können, an den Start. Als eine von nur vier Frauen trat sie gegen die damals großen Namen wie Heinz Pollay, Gustav Adolf Boltenstern jr. oder auch André Jousseaume an. 

Mit 541,5 Punkten gewann Lis Hartel in der Einzelwertung mit nur einem halben Punkt Vorsprung vor André Jousseaume auf Harpagon die Silbermedaille. Der Franzose war bereits Doppel-Olympiasieger (1932 in L.A. und 1948 in London; beides in der Mannschaft). Geschlagen wurde die dänische Amazone lediglich vom schwedischen Offizier Henri Saint Cyr auf Rufus. Dieser war es auch der Hartel nach ihrem Triumph voller Respekt aus dem Sattel hob und ihr auf das Podest half. 

Für Hartel war es einer der wichtigsten sportlichen Höhepunkte ihrer Karriere, wenn auch nicht der Letze. Für die Vielfalt des Reitsports sollte dieser Triumph jedoch ein bedeutender sein. Denn Hartel bewies in diesem Moment bei den Olympischen Spielen 1952 in Helsinki nicht nur, dass Frauen unbedingt in den Sattel und vor allem in den großen Sport gehörten, sondern auch, dass eine körperliche Einschränkung kein Hindernis für den Reitsport sein muss. 

“Göttin in der Kunst der Dressur” und Wohltäterin

Das ihr Triumph bei den Olympischen Spielen in Helsinki kein Zufall gewesen waren, zeigte Hartel bei unzähligen sportlichen Events. In den Jahren 1952 bis 19545 wurde Dänische Meisterin in der Dressur. Ebenso in den Jahren 1956 und 1959. 1954 trat sie in Aachen bei den Weltmeisterschaften an und gewann. Zwei Jahre später wurde sie erneut Zweite bei den Olympischen Spielen in Stockholm, hinter Henri Saint Cyr. 

Neben ihren sportlichen Erfolgen als “Göttin in der Kunst der Dressur”, wie der deutsche Richter Gustav Rau sie bezeichnete, setzte sich Hartel vor allem für therapeutisches Reiten ein. Zusammen mit ihrem Therapeuten gründete sie das erste Therapeutische Reitzentrum in Europa. Durch ihre Erfolge galt die Dänin bereits als eine der größten Ikonen für körperlich-behinderte Personen weltweit. Nachdem dadurch das Reitzentrum ein voller Erfolg wurde, wurden in den frühen 1960er Jahren weltweit Zentren für therapeutisches Reiten eröffnet. 

Auch nachdem Lis Hartel ihre Reitsportkarriere beendete, widmete sie sich mit Hingabe diesem Thema, dass sie später als ihren größten Erfolg bezeichnen sollte. In den Niederlanden gründete sie die Lis Hartel Foundation, die das therapeutische Reiten für behinderte Personen fördert. Hartel war aufgrund ihrer eigenen Erkrankung vollkommen von dem Gedanken überzeugt, dass der Kontakt und der Sport mit dem Pferd zu einer Genesung oder auch zur Linderung von Leiden von Erkrankten beitragen konnte. 

1992 wurde Hartel in die Hall of Fame Dänemarks aufgenommen und 2005 als eine der besten zehn Sportlerinnen den Landes aller Zeiten ausgezeichnet. 2009 starb die Reitsportikone, die nicht nur für die Frauen im Reitsport ein Exempel statuierte sondern sich auch um Reittherapie und Para-Reitsport verdient machte, in ihrer Heimatstadt Kopenhagen im Alter von 87 Jahren.