Angst beim Reiten oder im Umgang mit Pferden- was ist das eigentlich? Wo kommt sie her? Und was mache ich, wenn ich eine Angst beim Reiten oder im Umgang mit dem Pferd entwickelt habe? – Über all diese Fragen und noch weitere haben wir mit Wirtschaftspsychologin Prof. Dr. Kathrin Schütz gesprochen, die selber begeistertere Reiterin und Hofbesitzerin ist. Darüber hinaus hat sie längjährige Erfahrungen in der Lehre und Forschung, sowie als Coach und Trainerin.

Ist Angst beim Reiten etwas ungewöhnliches oder sind mehr Reiter betroffen als man erst einmal annehmen würde?

Jeder hatte sicherlich schon einmal so einen Schreckmoment – sei es beim Reiten, wenn das Pferd zum Beispiel wegen eines unbekannten Geräusches oder Gegenstandes zur Seite gesprungen ist oder beim Herausbringen auf die Wiese, wenn es herumgetänzelt und sich vielleicht sogar losgerissen hat.

Angst ist an sich gar nicht so schlimm, wie wir im Alltag immer denken, denn sie schützt uns vor gefährlichen Dingen, die unser Leben oder unsere Gesundheit bedrohen könnten. In unseren Forschungsstudien hat sich gezeigt, dass rund 90% der Reiter schon einmal eine kritische Situation mit einem Pferd erlebt haben. Andererseits vertrauen die meisten Reiter ihrem Pferd und sind sich sicher, schwierige Situationen gemeinsam meistern zu können. Wie immer in der Psychologie kommt es aber individuell auf die Person (und natürlich auf das Pferd) an – welche Persönlichkeit hat sie, was hat sie bislang erlebt und wie schätzt sie ihre Fähigkeit ein, schwierige Situationen meistern zu können?

Wie lässt sich Angst beim Reiten definieren? Und ist Angst beim Reiten etwas anderes als z.B. eine Angst vor Spinnen?

Beim Reiten kann die Angst dadurch entstehen, keine Kontrolle über eine bestimmte Situation und in dem Fall das Pferd zu haben. Das kann darauf beruhen, dass wir eine brenzlige Situation erlebt haben und das bei uns im Gedächtnis gespeichert wird. Andererseits können wir auch die Angst vor etwas übernehmen – wenn unsere Eltern uns beispielsweise immer gesagt haben, wie gefährlich das Reiten ist und wir deren Sorgen miterleben. Das kann sich auf uns übertragen.

Schaut man sich Spinnen an, fällt einem direkt die Spinnen-Phobie ein. Diese Tiere wollen wir (evolutionär bedingt) meist gar nicht erst anfassen, weil wir sie eklig oder furchteinflößend finden. Beim Reiten wollen wir ja gerne mit den Pferden interagieren oder reiten, aber uns hält innerlich die Sorge davon ab. Eine Spinne kann gefährlich sein und uns Schaden zufügen – an diese gehen wir aber gar nicht erst heran bzw. diese meiden wir. Zu einem Pferd – mit seinen mehreren hundert Kilo, die auch gefährlich für uns werden könnten, haben wir jedoch einen ganz anderen Bezug (Spinnenliebhaber mal ausgenommen, die mit einer Vogelspinne kuscheln). Es kann also eine Ambivalenz vorhanden sein, einerseits unbedingt zu den Tieren zu gehen und sie reiten zu wollen und andererseits Angst zu haben, etwas nicht im Griff zu haben, was gefährlich werden könnte.

Beim Reiten kommt noch hinzu, dass wir mit hochsensiblen Tieren interagieren, die unsere Angst oder Unsicherheit spüren und darauf direkt reagieren. Das macht es einerseits so schwierig, weil man die eigene Angst bewältigen und Ruhe ausstrahlen möchte – und zwar nicht nur für sich, sondern auch für das Pferd. Andernfalls kann sich die Aufregung und Angst gefährlich hochschaukeln.

Handelt es sich bei der Angst um “eine Angst” oder ist die Angst diffuser, tritt also bei einem Menschen nur beim Reiten, oder nur in bestimmten Situationen oder ausschließlich im Umgang mit dem Pferd auf? 

Das kann ganz unterschiedlich sein. Häufig können Reiter in den Sitzungen bei mir ziemlich genau beschreiben, welche Situation ihnen Angst eingejagt hat und weshalb sie sich jetzt nicht mehr trauen zu reiten, bei einem Turnier zu starten oder ein Pferd auf die Wiese zu führen oder zu verladen. Das kann eine bestimmte Situation im Wald gewesen sein, in der das Pferd durchgegangen ist, ein Sturz beim Springen, beim Herausbringen auf die Wiese oder beim Aufsteigen. Andererseits können einige Klienten das gar nicht so genau sagen. Sie haben auf einmal Angst, auf dem Reitplatz zu reiten, sich auf ein bestimmtes Pferd zu setzen, in einem M-Springen zu starten oder als Bereiter ein bestimmtes oder gleich mehrere Pferde zu reiten – ohne dass etwas Bestimmtes vorgefallen ist. Die Personen haben also auf einmal Angst vor etwas, was völlig unlogisch erscheint – und daher häufig auch sehr belastend ist, weil man es nicht greifen und verstehen kann. Es sind manchmal die kleinen und unbedeutenden Dinge, die im Zusammenhang mit der Angst stehen.

So unlogisch es erscheinen mag, steht nicht der Kopf mit seinen rationalen Gedanken, dass es gar nicht so schlimm ist, im Vordergrund, sondern unser Bauchgefühl und unsere Angst. Wir wissen, dass wir galoppieren, ein unruhiges Pferd sicher auf die Wiese bringen oder beim Schmied festhalten können, und auch Prüfungen auf einem Reitturnier eigentlich souverän meistern. Die unangenehmen Gedanken und Gefühle sind dennoch da und man kann sie nicht einfach so abschalten.

Wer ist von Angst beim Reiten betroffen? Sind es meist Reitanfänger, Freizeitreiter oder sogar Berufsreiter?

Das lässt sich so konkret gar nicht sagen, denn es betrifft alle. Und das kann gerade für Reiter, die schon länger reiten und die sich denken, dass sie das doch gar nicht betreffen kann, weil sie eben schon so lange reiten, auch erleichternd wirken. Sie sind mit ihrer Angst nicht alleine. Ein und dasselbe Ereignis kann für die eine Person angsteinflößend sein und für eine andere nicht, ganz egal, ob Profi oder Anfänger. Eine Person steigt dann einfach wieder auf´s Pferd oder begibt sich wieder in eine ähnliche Situation, um die Angst zu überwinden, eine andere Person meidet solche Situationen jedoch. Das ist individuell sehr unterschiedlich und hat häufig nichts damit zu tun, wie gut man reiten kann.

Gibt es in der Regel einen Auslöser für Angst, oder kann sie auch einfach plötzlich da sein?

An einige Situationen können wir uns noch gut erinnern – wenn das Pferd mit uns im Wald durchgegangen ist oder wir beim Springen im Sand gelandet sind – andere Momente haben wir regelrecht vergessen oder halten sie für unbedeutend. Doch auch scheinbar vergessene bzw. verdrängte Situationen können im Alltag wieder auftauchen, und wir verstehen nicht, warum wir gerade jetzt Herzklopfen haben und uns negative Gedanken durch den Kopf schießen. Die Ursachen können verschieden sein und werden von den Reitern häufig auch für lächerlich gehalten.

Welches Vorgehen würden Sie Betroffenen anraten, die Angst im Umgang oder beim Reiten entwickelt haben? 

Der erste Schritt ist das Erkennen, dass etwas Angst oder Stress verursacht. Wenn man ungern in den Stall fährt, kann man sich erst einmal überlegen, warum man dort nicht gerne hinfährt. Sind vor Ort andere Personen, die über die eigene Reitweise lästern, ist das Pferd hibbelig, sind andere Reiter mit in der Reitbahn, bei denen man Angst hat, sie reiten einen um…? In solchen Situationen kann es helfen, den anderen im Stall zu erzählen, in welchen Situationen man ein mulmiges Gefühl hat und zu erklären, warum man beispielsweise bestimmte Situationen meidet. Man kann die Personen auch bitten, beim Reiten noch etwas mehr Rücksicht zu nehmen. Auch wenn es sich nicht gut anfühlt, andere in die eigene Angst und die eigenen Gedanken „einzuweihen“, kann es sehr helfen. Die anderen im Stall verstehen häufig gar nicht, weshalb man bestimmte Dinge vermeidet oder sich (nach außen wirkend) „merkwürdig“ verhält. Einfach darüber zu sprechen, kann sich richtig gut anfühlen und die anderen achten meist auch mehr auf einen und nehmen die eigenen Sorgen ernst.

Man braucht sich also nicht mehr zu verstecken oder nur noch zu bestimmten Uhrzeiten in den Stall zu fahren, und zum anderen verstehen die anderen, warum man sich wie genau verhält. Das birgt weniger Potenzial für Lästereien. Dann fällt es auch leichter, sich Hilfe zu holen und z. B. eine andere Person zu bitten, mit einem gemeinsam in der Reithalle zu reiten oder die Stress auslösenden Situationen schrittweise zu üben. Klappen zunächst kleine Schritte, stellen sich bereits erste Erfolge ein und man vertraut nicht nur sich selbst wieder mehr, sondern vermittelt dies auch dem Pferd. Alternativ kann man erstmal das Vertrauen zum Pferd verstärken und nur positive Dinge fokussieren. Je mehr positive Situationen man mit dem Pferd (und umgekehrt) erlebt, umso eher speichert man dies im Gedächtnis auch entsprechend ab, wodurch man gelassener an die nächsten Aufgaben herangehen kann.

Wichtig ist außerdem, dass man sich darüber im Klaren ist, dass Pferde Fluchttiere sind und auf kleinste Veränderungen in der Umwelt reagieren. Ein Pferd rennt in den meisten Fällen aber nicht einfach los, weil es gemein oder blöd ist, sondern weil es einen bestimmten Anlass gibt. Ein erfahrener Reiter, wie der eigene Reitlehrer und weitere Trainer (z. B. aus dem Horsemanship-Bereich), kann einem in diesen Situationen bereits gut helfen.

Gibt es Möglichkeiten die Angst zu therapieren? Wenn ja, wie kann man sich das vorstellen?

Es gibt verschiedene Methoden und Techniken, die man – mit professioneller Unterstützung – anwenden kann. Auch Atemtechniken können helfen. Wichtig ist allerdings, dass der Coach oder Therapeut einen entsprechenden beruflichen Hintergrund hat und qualifiziert ist. Das Auflösen von Blockaden gehört in professionelle Hände und sollte psychologisch und wissenschaftlich fundiert sein. Wie so häufig im Coaching-Kontext, gibt es auch in diesem Bereich schwarze Schafe. Geht es um tiefgreifende Themen und Traumata, sollte ein psychologsicher Psychotherapeut hinzugezogen werden.

Ich arbeite mit der Horse-Assisted Stress Reduction (HASR®), um Blockaden aufzulösen und den Stress erheblich zu verringern. Die Methode richtet sich nicht nur an Reiter, sondern an alle, die entspannter an gewisse Situationen herangehen möchten. Kurz zusammengefasst ist HASR® ist eine Methode zur Stressreduktion und Beseitigung von Blockaden mit der Unterstützung eines Pferdes. Es ist eine Kombination aus dem Herausarbeiten der stressauslösenden Blockaden und dem Auflösen dieser Blockaden mittels schneller Blickbewegungen oder dem Klopfen von Akupressur-Punkten sowie pferdegestützter Arbeit. Die negativen Affirmationen des Klienten werden fokussiert sowie im Anschluss positive Affirmationen (bekannt auch als positive Glaubenssätze) herausgearbeitet und verinnerlicht. Ergänzend werden die Imaginationsarbeit (Vorstellungskraft) und Embodimentansätze (Wirkung unserer Körperhaltung auf die Gedanken und umgekehrt) eingesetzt. Es handelt sich um eine Integration verschiedener wissenschaftlich fundierter Instrumente, die – unter Einbezug des Mediums Pferd – höchst wirksam sind.

Wie empfinden Sie den Umgang mit dem Thema Angst innerhalb der Reitsportszene?

Mit dem Thema Angst wird in der Reitsportszene sehr unterschiedlich umgegangen. Jeder kennt sicherlich jemanden, der – von außen betrachtet – ängstlich mit seinem Pferd umgeht oder „mal ein Coaching brauchen könnte“. Doch nicht jeder Reiter möchte das Angstthema angehen oder hält es auch nicht für notwendig, weil es „ja gar nicht so schlimm ist“. Das muss jeder selbst für sich entscheiden. Gerade für professionelle Reiter ist das Mentaltraining ganz normal, um den Pferden auf Turnieren oder beim An- und Bereiten Sicherheit und Vertrauen zu vermitteln. So kann man sich – unabhängig von den reiterlichen Fähigkeiten – besser auf Prüfungen und Situationen mit Jung- oder Korrekturpferden vorbereiten.

Im Freizeitreiterbereich ist es recht unterschiedlich – hier gelten Coachings und Mentaltrainings teilweise noch als etwas Eigenartiges. Einige Personen sehen auch weniger die eigene Angst, sondern fokussieren andere Ursachen. Wir sprechen in der Psychologie davon, dass sie external attribuieren, dass sie also äußere Umstände für ursächlich halten. Dann ist das Fenster in der Reithalle schuld oder Reiter XY, die Laune des Pferdes, die Schubkarre in der Ecke oder eben andere Dinge, Personen oder Tiere. Internal wird hier weniger attribuiert, was bedeutet, dass die Person die Ursachen nicht bei sich selbst sieht.

Als reflektierte und verantwortungsbewusste Reiter sollten wir uns häufiger mal fragen, ob wirklich das Pferd, die Schubkarre oder eine Mülltonne beim Ausreiten das alleinige Problem ist, oder ob wir vielleicht unsere Angst oder unseren Stress auf das Pferd übertragen. Es konnte bereits in Studien gezeigt werden, dass sich der Stress der Reiter auf Pferde übertragen kann und sich diese dann erschrecken. Natürlich kann sich auch ein Pferd erschrecken, wir sind halt alle Lebewesen.

Prof. Dr. Kathrin Schütz

Prof. Dr. Kathrin Schütz ist begeisterte Reiterin und Pferde- sowie Hofbesitzerin, Wirtschaftspsychologin und Professorin mit langjähriger Erfahrung in der Lehre und Forschung sowie in der Praxis als Ausbilderin und Coach.
www.kathrin-schuetz.com