

Ein Blick zurück
Das Reiten des Pferdes mittels einem Gebiss hat der Mensch schon vor langer Zeit für sich entdeckt. Auch wenn die Kandare oft als etwas antikes, nicht mehr zeitgemäßes angesehen wird, ist sie tatsächlich wesentlich jünger als die das Trensengebiss. Die Ursprünge der Trense werden auf etwa 3500-3000 v. Chr. datiert. Zu dieser Zeit wurden durchbohrte Geweihstangen als Trense verwendet. Später verwendete man auch Knochen und anderes Material für die Herstellung des Gebisses.
Der Gebrauch der Kandare kann sehr viel genauer datiert werden und wird mit dem Jahr 652 angegeben. Zu diesem Zeitpunkt sollen vor allem arabische Reiter die Kandare verwendet haben. Die Kandare zusätzlich zur bereits bekannten Trense zu nutzen, geht laut den Quellen jedoch auf die Ungarn zurück. Dadurch wird auch der sprachliche Ursprung des Wortes erklärt. Denn Kandare kommt vom ungarischen “katar”, was so viel wie Zaumzeug bedeutet. Im deutschen Sprachgebrauch gibt es das Wort Kandare erst seit dem 16. Jahrhundert.

Trend oder stetige Entwicklung?
Damit steht fest: Trense und Kandare gibt es bereits seit langer Zeit. Seit jeher sind den Reitern die verschiedenen Wirkungen der Gebisse bekannt und wurden daher auch, wie bereits erwähnt als erstes von den Ungarn, miteinander kombiniert. Dies hat sich bis heute in eigenen Bereichen der Reiterei gehalten. Besonders im Dressursport wird in den höheren Klassen der Umgang mit der Kandare in Kombination einer Unterlegtrense gefordert. Hier hält der Reiter dann vier Zügel in Händen. In anderen Bereichen, wie dem Westernreiten wird häufig nur auf Kandare geritten.
Auch wenn sich an der Grundsätzen der Gebisse im Laufe der Jahrhunderte nichts geändert hat, so ist die Wahrnehmung innerhalb der Reiterszene für die Importanz eines passenden Gebisses gestiegen. Das sieht auch Mimo Oeser aus dem Bereich Marketing und Communication, Equine Industry BV, Großhändler der Trust Equestrian Gebisse so: “Reiter werden sich bewusster, dass ein Gebiss oft helfen kann um eine optimale Leistung zu bringen. Dadurch kommen dann natürlich mehr Konkurrenten auf den Markt, die gerne einen Teil dieser Frage im Markt beantworten möchten.”
Auch bei der Firma Herm. Sprenger merke man dies: “Bei Sprenger gibt es seit jeher eine gleichbleibend starke Entwicklungsorientierung im Gebissbereich, hier hat sich bis heute nichts verändert. Allerdings drängen in den letzten Jahren andere Firmen in den Markt, wodurch sich natürlich der Marketingaufwand und entsprechend auch die Wahrnehmung neuer Gebisse im Markt erhöht.”, sagt Deike Bräutigam aus dem Bereich Verkauf Pferdesport bei Herm. Sprenger.
Metall und andere Materialien
Bei der Entwicklung von neuen Gebissen steht für die Hersteller an erster Stelle die Verbesserung der Performance unter Berücksichtigung des Pferdewohls. Denn nur Pferde, die sich wohlfühlen mit ihrem Gebiss, können die angefragten Leistungen erbringen – sei es im Spitzensport oder auch in der Freizeitreiterei. Denn das Pferdemaul ist einer der empfindlichsten und sensibelsten Bereiche des Pferdekörpers. Die Auswahl eines passenden Gebisses macht nicht nur das Pferd, sondern auch den Reiter zufriedener. Denn mit einem passendem Gebiss wird die Kommunikation zwischen Reiter und Pferd unmittelbar verbessert.
“Für besonders sensible Pferde eignet sich häufig der Einsatz von weicheren Materialien wie Kunststoff oder Gummi. Hier gilt es allerdings zu beachten, dass die Oberfläche weich ist und in einem trockenen Maul Reibung erzeugen kann. Ein weiterer Nachteil von Mundstücken aus weichen Materialien ist, dass sie schnell durch Zerbiss beschädigt werden können und scharfe Kanten bilden oder durchgebissen werden können. Daher empfiehlt sich nur Gebisse mit einer Stahlseele zu verwenden.”, erklärt die Expertin von Sprenger.

Metall ist grundsätzlich sehr beliebt für den Einsatz im Pferdemaul, da es glatt, hart und langlebig ist. Es verwundert daher kaum, dass Metall das beliebteste Material in der Herstellung von Gebissen ist. Sprenger, als Metallwarenfabrik ein Experte im Bereich der Entwicklung von Metalllegierungen für diverse Einsatzgebiete, hat in Zusammenarbeit mit der Tierärztlichen Hochschule Hannover speziell für die Verwendungs im Pferdemaul die Metalllegierung “Aurigan”, die mittlerweile nochmals überarbeitet wurde zu “Sensogan”, entwickelt. Beide Materialien sind nickel- und rostfrei, regen durch die Oxidation die Speichelproduktion des Pferdes an und sind toxikologisch unbedenklich. Doch nicht nur die Entwicklung von geeigneten Materialien liegt im Interesse des Unternehmens.
Neue Gebisse entwickeln
Auf Problemfelder eingehen und Lösungen finden
“Eine Entwicklung kann sich auf das Material, die Gestaltung des Mundstücks oder des Seitenteils beziehen, sowie die Kombination all dieser Bereiche untereinander.”, sagt Bräutigam. Sprenger bietet daher auch verschiedene Materialien an. Denn nicht jedes Pferd ist gleich. Das beobachtet auch Oeser von der Firma Trust Equestrian: “Da jedes Pferd und jeder Reiter unterschiedlich ist, hat auch jeder verschiedene Ansprüche an sein Equipment. Ein sensibles Pferd läuft meistens auf einem weicheren Gebiss besser als aus einem aus Metall.”
Von der Produktidee bis zur Umsetzung liegt häufig ein langer Weg, der in der Regel mit einer expliziten Problemstellung beginnt. Der Lösung des Problems wird sich dann in enger Zusammenarbeit mit Profis aus Wissenschaft und Praxis durch Entwicklung von Prototypen und Testmuster solange genähert, bis ein ausgereiftes Produkt entstanden ist, das Reiter und Pferd einen Mehrwert bietet.
Bräutigam bietet hierfür zwei Beispiele aus der Praxis an:
Bei der Entwicklung der einfach gebrochenen Turnado Gebisse wurde nach einer Möglichkeit gesucht, die Problemfelder eines einfach gebrochenen Gebisses, wie eine einseitig stärkere Einwirkung durch unterschiedlich lange Gebissteile sowie ein erhöhter Gaumendruck durch ein sich in der Mitte aufstellendes Gelenk zu unterbinden. Mit dem Turnado entwickelte Sprenger ein einfach gebrochenes Gebiss, dass durch das nach vorne gewinkelte Gelenk in der Mitte eine gleichmäßige Verteilung der Gebissteile im Pferdemaul und damit eine gleichmäßige Einwirkung des Reiters erlaubt. Gleichzeitig bietet das Gebiss einen größeren Abstand zum Gaumen.
Durch die moderne Pferdezucht wird der Platz im Pferdemaul immer geringer. Dünne Gebisse wirken punktuell ein und sind für viele, vor allem sensible Pferde, viel zu scharf. Sprenger entwickelte daher die novocontact Gebisse mit einer ovalen Auflagefläche auf der Zunge, so dass sich der Druck auf eine größere Fläche verteilen kann. Die flache Form des Mundstücks zwischen Gaumen und Unterkiefer spart Platz und übt auch in kleinen Mäulern keinen Druck auf die sensiblen Bereiche aus.
Diese Praxisbeispiele verdeutlichen wie unterschiedlich die Problematiken sei können. Die Entwicklung dauert oft lange und ist sehr aufwendig. Zur technischen Umsetzung bei Sprenger wird beispielsweise auf moderne Verfahren wie CAD-Design (Anm. d. Red.: rechnerunterstütztes Erstellen und Erzeugen von geometrischen Modellen) oder auch der Ausdruck eines 3D-Prototypen zurückgegriffen. Aber auch klassisch-handwerkliche Methoden, wie das Modellieren von Mutter-Modellen durch den Modellbauer wird genutzt.
Testreiter überprüfen Prototypen
Auswahl des passenden Gebisses
Bräutigam erklärt, wie die neu entwickelten Gebisse getestet werden: “Erste Prototypen testen wir zunächst an Pferden unserer Mitarbeiter. Hier haben wir ein genaues Auge darauf, wie die Modelle im Pferdemaul liegen und stellen zunächst sicher, dass die Passform korrekt ist und angenehm für das Pferd. Ist das der Fall, geben wir die Gebisse an unsere Testreiter weiter. Unser Pool an Testreitern besteht aus Vertretern verschiedener Disziplinen und Ausbildungsstufen, vom Freizeitreiter bis hin zum Olympiasieger. Auch Reitschulen, Ausbilder und Reiter aus dem Ausland gehören dazu.” Wichtig sei ein konkretes Feedback durch den persönlichen Kontakt zu den Testreitern und das Ausfüllen von Testberichten, die zum einen die Wirkung der Prototypen abfragen aber auch Details zu den Testpferden, wie Alter, Ausbildungsstand, Disziplin, Charakter, anatomische Besonderheiten oder auch Rittigkeitsmerkmale.
Auch die Firma Trust Equestrian geht beim Testen von neuen Gebissen ähnlich vor: “Neue Gebisse werden in Zusammenarbeit mit verschiedenen (professionellen) Reitern getestet, verbessert und weiterentwickelt. Deren Erfahrungen nehmen wir also auch sehr zu Herzen um die bestmöglichen Produkte anbieten zu können.”, erklärt Oeser.
Die Auswahl an Gebissen ist mittlerweile riesig. Möchte man als Reiter eine Wahl treffen, sollte man sich über die Wirkungsweisen der verschiedenen Gebisse informieren. Wichtig ist zudem auch die korrekte Größe des Gebisses in der Gebissweite und -stärke für das eigene Pferd auszuwählen. Die Gebissstärke kann durch den 2-Finger-Test herausgefunden werden. Bei der Gebissweite kommt es zunächst darauf, welche Gebiss gewählt werden soll. Bei einer Wassertrense sollte auf beiden Seiten des Pferdemauls nicht mehr als 0,5cm Platz sein. Die Gebissringe dürfen das Pferdemaul jedoch auch nicht berühren. Bei einem Olivenkopfgebiss oder anderen Gebissen mit festem Seitenteil sollte das Gebiss relativ nahe an den Maulwinkeln anliegen um optimal wirken zu können. Gemessen werden kann die Gebissweite mittels eines Gebissweitenmessers.
Ob meine Auswahl als Reiter auch meinem Pferd gefällt, zeigt sich beim Reiten: “Ein Pferd, das an den Hilfen des Reiters steht und vertrauensvoll an die Reiterhand herantritt, ist zufrieden mit seinem Gebiss. Bei Pferden, die unzufrieden wirken, stark sind oder zu leicht, macht eine Überprüfung der Größe und Passform des Gebisses durchaus Sinn. Auch Pferde, die unstetig in der Anlehnung sind, könnten ein Problem mit ihrem Gebiss haben.”, so Bräutigam. Jedoch sei auch nicht zu vergessen, dass nicht jedes Rittigkeitsproblem mit dem Gebiss zu tun habe. Auch den Gesundheitszustand des Pferdes sollte man im Fall der Fälle überprüfen.
Für die unterschiedlichen Disziplinen des Reitsports sei es häufig ratsam unterschiedliche Gebisse zu wählen: “Das ist immer ganz abhängig vom Pferd. Oft ist es aber so, dass man je nach Disziplin an anderen „Problemen“ arbeiten muss. Dementsprechend hat man beim Springen oder im Gelände beispielsweise ein schärferes Gebiss nötig als in der Dressur, da das Pferd evtl. etwas stärker im Parcours wird.” Auch Bräutigam sieht das so: “Die verschiedenen Disziplinen stellen unterschiedliche Anforderungen an das Pferd. Daher macht es macht bei vielen Pferden Sinn, das Gebiss den Anforderungen der jeweiligen Disziplin anzupassen.”
Der gewährte Einblick in den Herstellungsprozess zeigt, wie aufwendig und wissenschaftlich fundiert die Entwicklung eines neuen Gebisses ist. Die Entwicklung schreitet stetig voran. Reiter werden immer sensibler für das Thema Gebiss. Das Thema Gebiss ist in. Immer mehr Hersteller drängen in den Markt. Altbewährte Unternehmen steigern ihr Marketing und letztendlich wird die Thematik dadurch nochmals deutlich präsenter bei den Reitern: Seit Jahrhunderten gleich und doch immer in der Entwicklung – das Gebiss.
Welche Erfahrungen hast du mit Gebissen gemacht? Ist dein Pferd einfach oder kompliziert bei der Gebissauswahl? Und welches Gebiss funktioniert für euch am besten? Schreib es in die Kommentare ↓
Noch mehr Wissenswertes zu Gebissen: 7-teilige Lehrfilmreihe der FN in Zusammenarbeit mit der Firma Herm. Sprenger
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