Mitte 2018 zogen mein Mann, unsere beiden Katzen, mein Pferd Domingo und ich für unbestimmte Zeit von München nach Seattle, Washington State (WA) – mein Mann hatte ein Angebot seines Arbeitgebers angenommen und wir wagten das Abenteuer.
Da wir nicht wussten, ob und wann wir zurück nach Deutschland kommen würden, war klar, dass wir absolut alles mit umziehen würden. Das beinhaltete also nicht nur unseren gesamten Hausstand, sondern auch unsere Tiere.

Wie der Pferdetransport ablief, was es zu beachten und organisieren gibt, könnt ihr gerne im entsprechenden Artikel dazu nachlesen.

Nun waren wir also in Seattle, der schönen, sehr viel weniger als gedacht verregneten Stadt aus Grey’s Anatomy – und mussten uns nicht nur privat neu einleben, für mich bedeutete das auch eine ganz neue Welt rund um den Pferdesport.
Und es sollte vieles deutlich anders sein als gewohnt…

Futter: Nicht einfach zu substituieren

Die erste Herausforderung, die ich nur semi-gut meistern konnte, war, Domingos Futter auf ähnliche Beine zu stellen wie in Deutschland. Kurz und knapp: Ich schaffte es keineswegs.

In Deutschland hatte er ein mineralisiertes, ausgewogenes Müsli bekommen, das magenschonend und strukturreich war. Müsli in dem Sinne aber ist ohnehin nicht einfach zu bekommen in den Staaten, möglichst natürlich und ohne Unmengen an Füll- und Konservierungsstoffen oder Geschmacks- und Farbverstärker jedoch ist quasi unmöglich.

Auch Mash, wie wir es zu Hauf aus Deutschland kennen, gibt es dort so nicht. Ich fand letztlich Luzerne-Pellets, die immerhin etwas quellbar waren, zudem verhältnismäßig wenige, beigesetzte Unsinn-Bestandteile für die Pelletierung hatten, und bastelte mir daraus sein Mash – eine bessere Option fehlte schlicht, wenngleich die Inhaltsstoffe für die Pelletierung nicht optimal waren und ich das in Deutschland wohl gemieden hätte.

Seine Mineralien & Co besorgte ich separat und setzte händisch zu, was er für einen guten Grundbedarf und ausreichende Mineralisierung benötigte. Dazu waren einige Blutbilder notwendig, um sich einzupendeln, die Präparate auf dem Markt waren mir aber deutlich zu stark mineralisiert. Dort wird in der Pferdefütterung im wahrsten Sinne des Sprichwortes mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Die Futtermittel zielen meiner Meinung nach alle auf immense Überversorgung ab.

Domingo bekam unter’m Strich also folgendes – und das sollte für 2.5 Jahre eine gute Basis sein, mit der er gut eingestellt war und blieb: Das tägliche „Mash“ mit seinen Zusätzen, ergänzt durch Timothy-Heu und Alfalfa (Luzerne) ad libido – diese letzten beiden Komponenten seiner Fütterung jedoch waren sehr, sehr hochwertig und versorgten ihn hervorragend.

Reitställe und Unterbringung

Die Suche nach einem geeigneten Stall gestaltete sich schwieriger als erwartet – in Anfängen berichtete ich darüber bereits im vergangenen Artikel.
Der Spring- und Dressursport ist im allgemeinen in Amerika eher in den Küstenstaaten zu finden, im „Landesinneren“ wird aufgrund des Ranchings sehr viel Western geritten.
Washington ist nun aber leider einer jener Küstenstaaten, in denen der Reitsport eher weniger populär ist – entsprechend ist die Stalldichte relativ gering.

Es gibt viele sehr kleine, privat geführte Ställe, und einige große – doch wer meinen vergangenen Artikel las, weiß, dass ich einen hohen Anspruch an Domingos Versorgung und mentales Wohlergehen habe, weshalb vieles nicht in Frage kam.

Wichtig war mir mindestens eine Außenbox mit viel (!) Koppelzeit, besser noch eine Paddockbox mit Koppelgang, wenn möglich mit Gesellschaft.
Paddockboxen jedoch sind dort sehr selten, und die meisten Dressurställe setzen primär auf Innen- oder Außenboxen, mit maximal halbtags Koppelgang. Das ist mir zu wenig, ich möchte für mein Pferd, dass er sich freier bewegen kann, nicht den Großteil des Tages in einem Quadrat verbringt.

Letztlich fanden wir durch viel Glück und einige Zufälle für ihn in einem kleinen Dressur-Privatstall einer ausgewanderten deutschen GP-Reiterin ein Zuhause – dort lebte er in einem Unterstand auf einer fußballfeld-großen Weide.
Jedes Pferd hatte eine solche Weide mit Haus für sich, nebeneinander leisteten sie sich Gesellschaft und konnten sich rund um die Uhr frei bewegen.
Schöner konnte ich es mir kaum ausmalen, und wir hatten großes Glück, dort ein Zuhause finden zu dürfen, denn ein Einstellerstall im eigentlichen Sinne war das nicht.

Turniere: ungewohntes Starterfeld

Aus Deutschland und Europa, und auch aus internationalen Übertragungen weltweit kennt man aus dem Turniersport ein recht großes Starterfeld, starke Konkurrenz, Klassen-Einteilungen nach Erfolg und Leistungsklasse. Das findet man im nationalen Turniersport der Staaten gänzlich anders.

Ähnlich wie in Mittel-, Süd- und Zentralamerika kann es auch in den Staaten leicht sein und ist sogar die Regel, dass man in einer Prüfung gegen 2-3 andere Reiter antritt.

Im Extremfall kann man sogar als alleiniger Starter in einer Prüfung starten, es gibt keine Mindest-Anzahl an Teilnehmern, die erreicht werden muss. Nennt also nur ein Reiter, reitet er die Prüfung quasi außer Konkurrenz – und ist automatisch Sieger. Das gilt für Trainingsturniere gleichermaßen wie für offizielle Turniere, bei denen ein solcher Erfolg auch in die offiziellen Erfolgsdaten eingehen würde – wenngleich man letztlich „automatisch gewonnen hatte“.

Zudem gibt es keine Erfolgs-Hürden für Pferd und/oder Reiter – jeder Reiter und jedes Pferd kann in jeder Prüfung starten. So stellen Profis ihre jungen Pferde in den niedrigsten Klassen vor, um ihnen Erfahrung zu geben, und starten gegen Reitanfänger:innen, die ihr erstes Turnier bestreiten. Ebenso kann man sein junges Pferd überambinitoniert in der Klasse S (4th level) vorstellen, wenn man das möchte, wenngleich Pferd und/oder Reiter dazu gegebenenfalls gar nicht in der Lage sind.

In Summe gibt es dort sehr wenige Turniere. Anders als aus Deutschland gewohnt, kann man, wenn man alles nennt – was möglich ist (und keine utopischen Fahrtzeiten von mehr als 3 Stunden bedeutet) – mit 8-9 Turnieren pro Saison rechnen.
Und das, obwohl man einer „region“ zugewiesen ist, die Staaten-übergreifend ist.
In WA beispielsweise startet man in „region 6“, wozu Washington State, Idaho und Oregon gehören – also ein Radius von guten 12 Stunden Fahrzeit.
Die Turnier-Reiterei in den Staaten kann also durchaus spannend sein!

Equipment: Qualität extrem hochpreisig

Ich bin zugegebenermaßen auch bei Domingos Equipment recht anspruchsvoll, da ich  möchte, dass die Dinge eine hohe Qualität sowie eine mängel- und scheuerfreie Verarbeitung haben.
Leider fallen damit sehr viele amerikanische Produkte raus: es ist viel preisgünstigeres als in Deutschland, aber in meiner Bewertung minderwertigeres Equipment zu finden.

Leider sind die importierten Produkte aus Europa aber extrem hochpreisig – so kann man für eine Pikeur-Reithose gerne mit dem dreifachen Preis rechnen, unter §400 wird man dort nichts finden. Importiert man dieselbe Ware beispielsweise aus Deutschland privat, muss man zwar hohe Transportkosten zahlen, ist jedoch immer noch günstiger dran, als wenn man in Reitsportgeschäften vor Ort einkauft.

Ich habe es in der Zeit, in der ich in Seattle lebte, so gehandhabt, dass ich bei Weihnachts- und Zwischenbesuchen in der Heimat vieles mitnahm, was ich brauchte, und habe die Besuche für das Beschaffen neuen oder zu tauschenden Equipments genutzt.

Was sich als ebenfalls problematisch herausstellte, war die Sattler-Thematik. Die Sattlerin, die beispielsweise die Marke meines Dressursattels „Selleria Equipe“ betreute, war für Oregon, Washington State und Idaho zuständig (ähnlich wie die „region“ des Turniersports) – und sie war die einzige, die diese Marke in der ganzen Region betreute. Ich hatte nun also mit dieser Sattlerin zu leben, Optionen gab es nicht, wollte man einen Experten für diese Marke haben.

Trainingsbedingungen und Trainingsniveau

Analog zur Stalldichte allgemein, insbesondere der dressur- oder springbezogenen Trainigsställe, ist auch die Trainerdichte in WA sehr gering. In der Regel betreut ein Trainer einen Stall und leitet die entsprechende Anlage. Mobile Trainer wie in Deutschland gibt es dort kaum bis gar nicht.

Das hat den Nachteil, dass man mit dem Stil und Modus Operandi dieses Trainers am Stall d’accord gehen muss, ansonsten bleibt nur der Umzug. Andererseits hat es den Vorteil, dass das Trainingsniveau relativ hoch ist. Denn diese wenigen Trainer sind in der Regel sehr gut ausgebildet, die Qualität des Unterrichts ist also sehr hoch.

„haul in lessons“ nennt sich das amerikanische Pendant zu mobilen Trainern: So kann man, wenn man einen Pferdehänger hat, nach Absprache auf die Anlage eines Trainers fahren und vor Ort Unterricht nehmen. So habe ich das mit Domingo auch gerne gemacht. Ich hatte viel Unterricht bei meiner Trainerin im Heimatstall. Aber ich habe auch regelmäßig mit Domingo auswärts trainiert, um neuen Input und neue Einflüsse zu bekommen.

Sieht man von den kleinen, privaten Ställen ab, sind die wenigen Anlagen, die es um Seattle herum gibt, alle extrem hochwertig ausgestattet. Die Böden sind in der Regel von höchster Qualität und minutiös gepflegt. Die Anlagen sind alle sehr sauber, ordentlich und ästhetisch angelegt. Auch interessant fand ich, dass diese größeren Anlagen alle ausnahmslos ringsherum eingezäunt waren und außerhalb der Öffnungszeiten verschlossen waren.
Herein kam man in den meisten Anlagen ebenfalls nur mit einem Code, den nur die Einsteller kannten. Der Sicherheits-Standard ist dort größtenteils sehr hoch.

Tiermedizinische Versorgung, Versicherungen & Kosten

Anders als in Deutschland ist es eine kleine Herausforderung, eine Versicherung für Pferde zu bekommen – die meisten Amerikaner versichern sich und ihre Tiere nicht.
Bis wir eine Haft-, Unfall- und OP-Versicherung für Domingo hatten, wie er sie auch in Deutschland hat, war einiges an Recherche nötig und auch preislich ist das kaum vergleichbar. Nichtsdestotrotz war mir sehr wichtig, dass wir versichert sind, weshalb ich die Recherche in Kauf nahm und nach einiger Mühe doch eine Versicherung für uns finden konnte.

Die Veterinärmedizin ist, wie auch der allgemeine medizinische Standard in den USA, sehr hoch und fortschrittlich – hat allerdings für mein Gusto zwei große Nachteile:

Zum einen ist die medizinische Versorgung extrem teuer. Ein regulärer „barn call“, also die Anfahrt eines Tierarztes auf die Anlage, kostet unter der Woche zu Geschäftszeiten ab $60, am Wochenende oder nach Geschäftszeiten jedoch ab $500 – nein, es ist kein Tippfehler.

Zur reinen Anfahrt kommen freilich die Behandlungen, und auch hier sind Preise um das x-fache zu erwarten. Für 4 Röntgenbilder der Hufe zahlte ich knapp $800 – in Deutschland etwa 100€ inklusive Anfahrt.

Zum anderen wird in den Staaten sehr viel in Behandlungen und Heilung investiert, die Methoden und Möglichkeiten sind dort sehr hochwertig, fortgeschritten und effektiv.
Wenig bis keinen Wert allerdings wird in Vorsorge und Prophylaxe gelegt – meine Anfrage für ein abklärendes Blutbild als reine Auslotung des Status Quo sorgte für allgemeine Verwirrung und ein großes „wozu?“, auch sonstige routinemäßige Maßnahmen stießen dort auf große Verwunderung.

Auch in puncto „Physiotherapie“ sucht man in Washington teilweise vergeblich. Einen Chiropraktiker konnte ich nach viel Herumfragen finden, Physio- oder Osteopathie gibt es dort quasi nicht. Man kann sogenannte „body worker“ engagieren, die das Pferd massieren, das ist aber im groben genau das: eine Massage mit rudimentärem Dehnen. Manipulation oder Reposition gegebenenfalls fehlgehaltener Strukturen aber, machen diese „body worker“ nicht, und auch der Chiropraktiker ist nur Fachmann seines Teilgebietes – wer einen Osteopathen sucht, bleibt suchend.

Ich habe nie bereut, Domingo mitgenommen zu haben. Auch würde ich es definitiv wieder tun. Man muss sich aber im Klaren sein, dass es Szenarien, Situationen, „Mangel-Gegebenheiten“ gibt, die man abfangen können muss.

Ich konnte auf viele Jahre Pferdeerfahrung und -besitz, einen (leider) doch nicht ganz unbeachtlichen Erfahrungsschatz an Krankheits- und Futter-Expertise aus erster Hand, Grundkenntnisse der Physiotherapie, ein gewisses reiterliches Knowhow und auch genug Sattel- und Hufschmiede-Einschätzung zurückgreifen – und all das hat mir vermutlich erst ermöglicht, abzufangen und zu überbrücken, was nicht optimal war, bis ich jemanden finden konnte, der mir weiterhelfen konnte.
Ich wage zu behaupten, dass mir das das Leben und die Pferdehaltung „mit meinen deutschen Ansprüchen“ ermöglicht hat und sicherstellte, dass wir „klar genug kamen“.
Ich bin aber auch, und ich denke, diese Charakterzüge waren hier elementar, ein sehr wissbegieriger, neugieriger und skeptischer Mensch, der Dinge hinterfragt, verstehen will und recherchiert.

Hätte ich mich auf all das verlassen, was ich vorgefunden habe, wären meine Erfahrung und mein Fazit anders ausgefallen.
Ich denke, mein Vorwissen und meine Tendenz zum „Reinfuchsen“ waren hier die entscheidenden Faktoren, die unsere Erfahrung eine Positive haben werden lassen, andernfalls weiß ich nicht, ob ich dieses Fazit gezogen hätte.