Heute ist der Reitsport, sowohl im Freizeitbereich als auch im Turniersport geprägt von Frauen – viel mehr noch Frauen machen heutzutage den Großteil der Reiter in Deutschland aus. Dabei war der Reitsport lange eine rein männliche Angelegenheit. Die Artikelserie “From M to F” widmen wir daher all jenen Frauen, die den Reitsport revolutionierten.
1952 – ein Jahr, dass für die Frauen im Reitsport von besonderer Bedeutung ist. Denn in diesem Jahr fanden die Olympischen Spiele in Helsinki statt – erstmals auch mit weiblichen Teilnehmerinnen im Reitsport. Zwar durften sie nur in der Dressur starten, dennoch sollte es der Auftakt für die Freiheit sein, der Freiheit gleichberechtigt mit den männlichen Reitern an Championaten um den Titel der oder der Besten kämpfen zu dürfen.
Bei den Spielen in Helsinki starteten gleich vier Frauen in der Dressur: die Dänin Lis Hartel, die Norwegerin Elsa Christophersen, die US-Amerikanerin Marjorie Haines und die Deutsche Ida von Nagel. Nicht nur, dass die bloße Teilnahme der Frauen an der Olympiade eine Sensation darstelle, triumphierte Ida von Nagel in der Mannschaft zusammen mit Heinz Pollay und Fritz Thiedemann und gewann die Bronzemedaille. Die Medaille ist die erste die eine Frau bei den Olympischen Spielen gewann und damit viel mehr als nur eine einfache Bronzemedaille. Diese Medaille sollte der größte Triumph für Ida von Nagel bleiben.
Die Familie von Nagel
Doch springen wir ein paar Jahre zurück. Am 15. Mai 1917 wurde Ida Leopoldine Sophie Elisabeth von Nagel in Beberbeck,einem heutigen Stadtteil von Hofgeismar, geboren. Wie die vielen Vornamen und das “von” bereits vermuten lassen wurde von Nagel in eine Adelsfamilie hineingeboren. Ida hatte fünf Geschwister: Clemens, der Älteste und zugleich der Bruder, der in ihrem Leben einen entscheidenden Einfluss haben sollte; Marie-Luise, Josef, Georg und Franz.
Ida war das jüngste Kind von Paul von Nagel und Elisabeth Gräfin von Merveldt. Paul von Nagel arbeitete in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts in der Rentenkommission. In dieser Funktion wählte er Pferde für die Verwendung beim Militär aus. Am 1. April 1908 wurde er, obwohl er vergleichsweise noch sehr jung war, zum Gestütsdirektor des preußischen Landgestüts Wickrath ernannt. Einen Tag vor Heiligabend kam dann Idas ältester Bruder Clemens auf dem Gestüt zu Welt. Auch ihre anderen Geschwister sollten auf dem Gestüt geboren werden und aufwachsen.
1916 wurde Idas Vater Paul von Nagel dann auf das ebenfalls Preußische Hauptgestüt Beberbeck in Hessen versetzt. Im Jahr darauf, wie bereits erwähnt im Mai, kam dann Ida zur Welt. Einen Großteil ihrer Kindheit verbrachten die Geschwister gemeinsam auf dem Hauptgestüt. Clemens, der besonderes Interesse an den Geschicken der Pferdezucht hatte, wurde von seinem Vater Paul in alle Bereiche eingewiesen. Er begleitete seinen Vater beinahe auf Schritt und Tritt. Reitunterricht erhielt er vom Sattelmeister und ehemaligen Manteuffel-Dragoner Wilhelm Großberndt persönlich.
Umbruch durch den Krieg
Die Niederlage der Deutschen im ersten Weltkrieg zog auch ihre Spuren in der Deutschen Pferdezucht. So wurde der gesamte Bestand der Halbblut-Zuchtstuten und deren Nachzucht des Hauptgestüts Beberbeck für rund eine halbe Million Goldmark an Polen verkauft. Grund hierfür war, dass aufgrund des verlorenen Krieges kaum noch Remonten fürs Militär benötigt wurden, da Deutschland als Verlierer aufgrund des Versailler Vertrags vorgeschrieben wurde seine Kavallerie-Regimenter drastisch zu reduzieren.
Die zunehmende Industrialisierung und das Verlangen der Landwirtschaft nach mehr “Zugkraft” führte zudem dazu, dass die Kaltblüter als Gebrauchspferde überflüssig wurden. So wurde ein Teil derer in Beberbeck gehaltenen Kaltblüter auf andere Staatsgestüte verteilt oder in einer Hofauktion versteigert.
Am 3. Dezember 1929 verließen somit die letzten Pferde das Hauptgestüt in Beberbeck. Die Familie von Nagel, unter anderem mit der erst 13 Jahre alten Ida, zog wieder nach Westfalen, wo ihr Vater Paul eine Stelle als Landstallmeister im Landgestüt Warendorf annahm. Die Kinder erhielten dort Reitunterricht und ritten die Hengste des Gestüts. Besonders gerne setzten sie sich auf den bekannten Aktionstraber Nepal, oder den Begründer der Stutenfamilie der Dodona (aus der die Olympiapferde Ahlerich, Rembrandt, Amon hervorgegangen sind) Meleager. So lernte Ida die hohe Kunst der Dressur zusammen mit ihren Geschwistern. Was die Liebe zum Pferd betraf stach sie aber, genauso wie ihr großer Bruder Clemens aus der Geschwisterscharr hervor.
1935 verstarb zunächst der Onkel der Familie August von Nagel, der der Schlossherr von Vornholz gewesen war. Ein paar Monate nach ihm folgte der Vater Paul von Nagel. Das Erbe des Schlosses Vornholz, einem großem landwirtschaftlichen Betriebs fiel Clemens zu. Dieser hatte in der Zwischenzeit Karriere beim Militär gemacht, trat aber 1936 aus dem Heer aus um sich um den Familienbesitz kümmern zu können. Clemens machte sich schnell daran ein bedeutendes Gestüt aufzubauen. Dabei bewies er viel Geschick und ein ungetrübtes Gespür. So holte er den polnischen Schimmelhengst Ramzes AA in seine Zucht. Dieser gilt heute als einer der bedeutendsten Leistungsverereber der europäischen Warmblutzucht nach dem zweiten Weltkrieg. Aus ihm hervor gingen die bis heute legendären Hengste Radetzky und Ramiro.
Idas Erfolg mit Afrika
Vielleicht mag sich der ein oder andere Fragen, warum die Zucht und der Bruder Clemens bis zu dieser Stelle so viel Platz in einem Artikel über Ida von Nagel einnehmen. Die Gründe sind einfach und pragmatisch. Über das Leben von ida von Nagel ist wenig bekannt und, und das ist vielleicht der wichtigere, das Pferd “Afrika” mit dem ihr der Erfolg bei Olympia gelang, stammte aus der Zucht ihres Bruders Clemens.
Ein wenn auch kurioses Relikt dieses Pferdes kann man heute im Westphälischen Pferdemuseum bewundern. So wurde aus einem Huf des Pferdes von einem Goldschmied in Münster ein Aschenbecher hergestellt.
Es ist bekannt, dass die Geschwister eine lebenslange Freundschaft und vor allem tiefe Verbundenheit, getragen durch die Liebe zu den Pferden verband.
Wie es dazu kam, dass Ida von Nagel, zusammen mit Heinz Pollay und Fritz Thiedemann in der deutschen Dressur-Mannschaft der Olympischen Sommerspiele 1952 in Helsinki antrat, lässt sich aus unseren Quellen nicht rekonstruieren. Wie gut sie diesen Wettkampf jedoch abschloss, zeigt auch die Einzelwertung in der von Nagel 10. hinter ihrem Mannschaftskollegen Pollay (7. Platz), aber vor Thiedemann (12. Platz) wurde.
Nach dem sensationellen Bronze-Sieg beendete Ida von Nagel ihre Sportkarriere. Für ihre Leistungen wurde sie im Oktober 1952 mit dem Silbernen Lorbeerblatt geehrt. 1971 starb Ida von Nagel in Ostenfelde (heute: Ennigerloh) auf dem Schloss Vornholz. Das Gestüt Vornholz wurde bis 1977 geführt. Heute befindet sich das Schloss in Privatbesitz.