Monatelanges Kotwasser, Hufrehe oder auch fehldiagnostizierte Sommerekzeme – Isabel Atzinger sieht tagtäglich Probleme, die durch eine fehlerhafte Fütterung bei Pferden hervorgerufen werden.
Das die Fütterung des Pferdes einen großen Anteil an der Gesunderhaltung ausmacht und es etliche Krankheiten gibt, die auf eine fehlerhafte Fütterung hinweisen, ist vielen Pferdebesitzern bewusst. Gerade weil man seinem Liebling nur das Beste ermöglichen möchte, wird ein Zusatzfutter nach dem nächsten zum Krippenfutter hinzugefügt. Dabei wäre weniger mehr, sagt Isabel Atzinger, Gründerin von Carevallo, einem Unternehmen, das maßgeschneiderte Futterlösungen für Pferde anbietet.
Defizite herkömmlicher Futtermittel
Dabei sind es nicht nur zu dicke oder zu dünne Pferde, die einen individuellen Fütterungsbedarf haben. “Jedes Pferd ist einzigartig und braucht sein individuelles Futter”, erklärt Isabel. Herkömmliche Futtermittelhersteller bieten zwar eine ausreichende Versorgung, jedoch kann bei der Portionsszsammenstellung immer nur von einem Durchschnittswert ausgegangen werden. “Bei einem voll-mineralisierten Müsli beispielsweise gibt der Hersteller an, wie groß die Portion sein muss, damit ein gesundes Pferd ausreichend versorgt wird”, erläutert sie die Herangehensweise der Hersteller. Häufig werden solche Futtermittel jedoch mit Füllstoffen aufgewertet, dadurch erscheint diese Portion dem Pferdebesitzer dann aber sehr groß. “In vielen Fällen wird diese Fütterungsempfehlung nicht befolgt. Das führt dann aber zu einer Unterversorgung mit wichtigen Mineralstoffen” schließt die Gründerin.
Doch gerade diese Mineralien sind in der Fütterung des Pferdes wichtig. Neben fertigen Futtermischungen, die bereits mineralisiert daherkommen, gibt es auch die Möglichkeit Mineralfutter zusätzlich zu füttern. Was jedoch wohl die wenigsten wissen: Mineral ist nicht gleich Mineral. Hier sieht die Fütterungsexpertin ein weiteres Problem: “Viele mineralisierte Futtermittel sind nicht mit organischen sondern mit anorganischen Mineralstoffen versetzt. Diese kann ein Pferd aber nicht so gut aufnehmen. Die Aufnahme von organischen Mineralstoffen liegt bei zwischen 80 und 96 Prozent, bei anorganischen sind es nur 14 bis 20 Prozent.” Eine deutliche Differenz, die in der Regel nicht in der Fütterung beachtet wird, sich aber enorm auf die Deckung des Nährstoffbedarfs auswirkt.
Auch saisonale Schwankungen des Wetters, der Haltung oder Krankheiten werden bei der klassischen Fütterung von Rau-, Kraft-, Saft oder auch Mineralfutter nicht berücksichtigt. “Der Hersteller kennt das Pferd nicht. Er kann nur von einem durchschnittlichen, gesunden 500 oder 600 Kilogramm Pferd ausgehen.”, sagt die Fütterungsexpertin. Dabei seien sowohl Rasse, Herkunft, derzeitiger Aufenthaltsort, Qualität des Grundfutters und auch saisonale oder witterungsbedingte Veränderungen wichtige Faktoren für eine angepasste und damit angemessene Fütterung.
Für den Menschen statt für das Pferd
“Es gibt auch sehr gute Futtermittel und Futtermittelhersteller”, gibt Isabel zu bedenken. Jedoch sehe sie auch immer wieder Hersteller, die das Futter lieber für den Menschen angenehm gestalten als für das Pferd. “Natürlich gibt es auch Futtermittel, die einfach für den Menschen gut aussehen und riechen sollen. Oft sind diese aromatisiert, melassiert und mit Farbstoffen versehen. Diese Futtermittel sollen gut aussehen und riechen, wenn man den Sack aufmacht. Die ätherische Öle, die für den guten Geruch sorgen, sind aber in der Regel schädlich für die Schleimhäute der Pferde.”, erklärt sie die Problematik. Haferschälkleie, Zucker, Dinkel und Roggen sind nur einige der Inhaltsstoffe, die zwar die Portion größer erscheinen lassen und für den Hersteller in aller Regel deutlich günstiger einzukaufen sind als andere Komponenten, laut der Fütterungsexpertin aber nichts im Pferdefutter zu suchen haben.
Eine gänzliche falsche oder unzureichende Fütterung des Pferdes ist demnach häufig ein Problem aus zwei Komponenten: Einer wirtschaftsgetriebenen Futtermittelindustrie, die nur von Durchschnittswerten ausgehen kann und einem Pferdehalter, der es gut mit dem Pferd meint, dass komplexe Konzept der pferdegerechten Fütterung jedoch nicht überblicken kann.
Fütterungsfehler durch falsches Selbstbild
Neben fehlenden Informationen auf seiten der Halter, sieht Carevallo-Gründerin Isabel auch ein weiteres Problem: “Das größte verzerrte Bild haben die Pferdebesitzer bei der Leistung ihrer Pferde. Wenn bei uns jemand angibt, dass sein Pferd mittelschwere Arbeit leistet, dann schauen wir da ganz genau hin. Denn das sind durchschnittlich zwanzig Minuten Galopparbeit pro Tag. So intensiv trainieren Freizeitreiter in der Regel nicht.” Hilfreich, um die eigene Leistung besser einschätzen zu können, sei in diesem Fall gezielt auf die Uhr zu schauen, um einen realistischen Eindruck über die Trainingsintensität zu bekommen.
Auch das Wohlwollen vieler Pferdebesitzer sei oftmals ein großes Problem: “Bei dicken Pferden ist meistens eine zu hohe Raufutteraufnahme die Ursache.”, verdeutlicht Isabel die Situation. Zwar wollten viele Pferdebesitzer mit einer durchgehenden Heufütterung nur gutes, diese sei jedoch nicht für jedes Pferd gleich gut geeignet.
Krankheiten als Indikatoren für fehlerhafte Fütterung
Neben zu viel oder zu wenig Gewicht, zeigen sich Fütterungsfehler früher oder später auch in anderen Symptomen. Häufiges Kotwasser werde meistens nur als lästiges Übel gesehen und das Symptom mit Bindungsmitteln gestoppt. Der Ursache werde jedoch häufig nicht auf den Grund gegangen. Ähnliches hat Isabel auch bei ihrer eigenen Stute erfahren müssen. Trotz vieler verschiedenen Mittel vom Tierarzt half dem Pferd am Ende nur eine Futterumstellung um den starken Juckreiz loszuwerden und sich nicht mehr Wund zu scheuern.
Das auch vermeintliches Fachpersonal, wie ein Tierarzt, die Komplexität der Pferdeernährung nicht immer einbezieht, sieht Isabel anhand von Kundenfällen immer wieder: “Häufig wird bei Sehnenverletzungen und Hufrehe von Krippenfutter abgeraten.” Das die Ernährung hier deutlich angepasst werden müsse, sei auch richtig, jedoch erklärt die Expertin weiter: “Gerade in solchen Situationen braucht der Körper die richtigen Nährstoffe um heilen zu können.” Doch nicht nur bei Sehnenverletzungen und der gefürchtete Erkrankung Hufrehe sei die bedarfsgerechte Fütterung im Bewusstsein der Mediziner noch nicht gänzlich angekommen. Auch das häufig diagnostizierte Sommerekzem sei in vielen Fällen keine, wie üblicherweise angenommene, allergische Reaktion auf den Biss der Kribbelmücke, sondern oft ein Fütterungsproblem.
Individuelles Pferdefutter und Nachhaltigkeit
Nach ihren eigenen, schmerzlichen Erfahrungen mit ihrer Stute Mandy gründete Isabel Atzinger Carevallo, ein Unternehmen, dass es sich zur Aufgabe gemacht hat, Pferden eine bedarfsgerechte, individuelle Fütterung zu ermöglichen. Aus einer Vielzahl an Futtermitteln erstellt die Ernährungsspezialistin auf Grundlage eines umfangreichen Fragebogens eine bedarfsgerechte Futtermischung. Neben Regionalität und bester Qualität, achtet das Unternehmen auch auf Nachhaltigkeit: “Wir verwenden hauptsächlich Biofuttermittel und kaufen in der Region ein, so sind die Lieferwege extrem kurz. Zudem verpacken wir in nicht beschichteten Papiersäcken. Das sieht vielleicht nicht immer so schön aus, ist aber die nachhaltigere Verpackung”, erklärt die Gründerin einige Nachhaltigkeitsaspekte. Zudem versuchen sie Maschinen für die Produktion nach Möglichkeit gebraucht zu kaufen und auch immer wieder zu reparieren.
Das sich Nachhaltigkeit nicht nur im Großen sondern auch im Kleinen zeigt, beweist die Aufbewahrung der vielen Rückstellmuster. Denn solange das Mindesthaltbarkeitsdatum einer Futtermischung nicht abgelaufen ist, muss das Unternehmen eine Probe aufbewahren. Üblicherweise werden hierfür Plastikbeutel verwendet. “Wir verwenden Gläser. Diese werden nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums entleert, gereinigt und wiederverwendet.”, erklärt Isabel. Aber nachhaltig sei auch, dass den Futtermischungen nur Inhaltsstoffe beigefügt werden, die das Pferd auch wirklich braucht, so die Futterexpertin.
Was Pferde wirklich brauchen ist individuell und abhängig von vielen verschiedenen Faktoren. Denn neben Haltung und Bewegung ist die Fütterung einer der großen Bausteine für die Gesunderhaltung des Pferdes. Wenn Isabel Atzinger Pferdehaltern eines mit auf den Weg geben könnte, dann wäre es folgendes: “Weniger ist mehr. Durch wahlloses Füttern von Zusatzfuttern verursacht man in der Regel nur Probleme. Man sollte sich genau anschauen, was man seinem Pferd füttert.” Zur Steigerung des Wohlbefindens des Pferdes darf es also statt eines in mit Glitzer verzierten Tütchen verpackten Leckerlies dann auch gerne mal die altbewährte Möhre sein.